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Wut

Wut

Titel: Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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einen Parkplatz angelegt? Wer hat sich mit George W. Gushs Langeweile und Al Bores Gush, sprich Überschwenglichkeit, zufriedengegeben? Wer hat Charlton Heston aus dem Käfig gelassen und dann gefragt, warum Kinder erschossen werden? Was, Amerika, ist mit dem Gral? O ihr Yankee-Galahads, ihr Indiana-Lancelots, o ihr Parsifals der Viehhöfe, was ist mit der Tafelrunde? Er spürte, wie eine Flut in ihm losbrach, und hielt sie nicht zurück. Jawohl, es hatte ihn verführt, dieses Amerika; jawohl, sein Glanz erregte ihn, und seine unendliche Potenz ebenso, und er wurde durch diese Verführung kompromittiert. Das, was er darin bekämpfte, mußte er auch in sich selbst attackieren. Es bewirkte, daß er wollte, was es verhieß und endlos zurückhielt. Jedermann war heutzutage ein Amerikaner oder zumindest amerikanisiert: Inder, Iraner, Usbeken, Japaner, Liliputaner, alle. Amerika war das Spielfeld der Welt, ihr Regelbuch, Schiedsrichter und Ball. Selbst Anti-Amerikanismus war maskierter Amerikanismus, weil er einräumte, daß Amerika das einzige Spiel in der Stadt und die amerikanische Frage die einzig gegenwärtige war; und so durchwanderte Malik Solanka nun, den Hut in der Hand, seine hohen Hallen, ein Bettler an des Reichen Tische; aber das hieß nicht, daß er ihm nicht in die Augen sehen konnte. Arthur war gefallen, Excalibur verloren, und der finstere Mordred war König. Neben ihm auf dem Thron von Camelot saß die Königin, seine Schwester, die Hexe Morgan le Fay. Professor Malik Solanka war stolz darauf, ein praktischer Mensch zu sein. Geschickt mit den Händen, konnte er eine Nadel einfädeln, seine Kleidung selbst flicken, ein Frackhemd bügeln. Eine Zeitlang, als er begann, seine Philosophenpuppen zu machen, ging er in Cambridge bei einem Schneider in die Lehre und lernte Kleider zuschneiden, die seine halb lebensgroßen Puppen tragen sollten; außerdem die Blickfang-Straßenmode, die er für das Braingirl kreierte. Wislawa oder nicht, er verstand sich darauf, seine Wohnung selbst sauberzuhalten. Von nun an würde er die Prinzipien guter Haushaltsführung auch auf sein Innenleben anwenden.
    Mit dem purpurroten Wäschesack der chinesischen Reinigung über der rechten Schulter machte er sich auf, die Seventieth Street entlang. Als er auf die Columbus Avenue einbog, hörte er zufällig folgendes Selbstgespräch. »Du erinnerst dich doch noch an meine Ex-Frau Erin. Tess’ Mom. Ja, die Schauspielerin; heutzutage macht sie hauptsächlich Werbung fürs Fernsehen. Nun rate mal, was? Wir treffen uns wieder. Ziemlich verrückt, eh? Nach zwei Jahren, in denen ich sie für meine Feindin gehalten habe, und fünf weiteren in einem besseren, aber immer noch verzwickten Verhältnis! Ich habe sie eingeladen, irgendwann mal mit Tess rüberzukommen. Ehrlich gesagt, Tess hat gern ihre Mom dabei. Und dann, eines Nachts. Richtig, es war einer von diesen One-Night-Stands. Irgendwann bin ich rübergegangen und hab mich neben sie aufs Sofa gesetzt, statt in meinem gewohnten Sessel auf der anderen Zimmerseite zu bleiben. Weißt du, meine Sehnsucht nach ihr war nie ganz verschwunden, sie lag nur unter einem Haufen anderer Dinge begraben, einem dicken Haufen Zorn, um ehrlich zu sein, und nun kam das alles aus mir raus, rumsbums! Ein ganzes Meer. Ehrlich gesagt, in diesen sieben Jahren hatte sich eine ganze Menge angestaut, an Sehnsucht, meine ich, und der Zorn machte alles vielleicht sogar noch intensiver, deswegen war es so erstaunlich viel gigantischer als früher. Aber die Sache ist die. Ich gehe also zum Sofa rüber, und was passiert, passiert eben, und nachher sagt sie: Weißt du, als du zu mir rüberkamst, wußte ich nicht, ob du mich schlagen oder küssen wolltest. Ich glaube, das wußte ich selber nicht, bis ich auf dem Sofa saß. Ehrlich gesagt.«
    Das alles lauthals in die Luft gesprochen von einem schlaksigen, kraushaarigen Art-Garfunkeligen Mann in den Vierzigern, der einen gescheckten Hund spazierenführte. Es dauerte einen Moment, bis Solanka durch den Schopf rötlicher Haare die Handy-Kopfhörer sah. Heutzutage wirken wir alle zuweilen wie Eigenbrötler oder Verrückte, dachte Solanka, die ihre Geheimnisse beim Spazierengehen dem Wind anvertrauen. Hier sah er ein auffallendes Beispiel desintegrierter, zeitgenössischer Realität, das ihn interessierte. Der hundeführende Art, der einen Augenblick nur im Telefon-Kontinuum existierte - im Sound of Silence weilte -, war sich keine Sekunde bewußt, daß er im alternativen oder

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