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Wyrm. Secret Evolution

Wyrm. Secret Evolution

Titel: Wyrm. Secret Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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gegen das schmale, blasse Mädchen protestieren, das sich hier wie eine lästige Teufelsbrut eingenistet hatte.
    Doch ihre Seele war nicht hier bei ihr. Zumindest nicht vollständig. Sie fühlte, wie ein Teil ihrer selbst immer stärker … fortgesogen wurde. So als würde sie schwimmen und mit jedem Zug näher in einen Strudel geraten, der sie unweigerlich mit sich unter die Wasseroberfläche und in ein nasses Grab hinabziehen würde.
    Sie richtete sich ein Stück weit auf, strich sich nacheinander langsam über beide Arme. Es fühlte sich komisch an. Ihre Haut war nicht mehr zart und weich, stattdessen war ihr, als würde sie über etwas streichen, das kalt und schuppig war. Sie wollte den Blick senken, hinabschauen auf ihre Arme, doch sie konnte es nicht. Wie hypnotisiert starrte sie nach vorne, in das grünliche Licht, das durch das Fenster schien und den Raum auf eine fast körperliche Art ausfüllte.
    Sie saß auf dem Bett. Sie stand auf. Sie ging los, raus aus dem schäbigen Zimmer mit seinem spärlichen Mobiliar und dem abgetretenen, stinkenden Billigteppichboden, vorbei an der Frau, die sich ihre Mutter nannte, obwohl sie ihr niemals Wärme und Zuneigung entgegenbrachte, und durch den Jungen hindurch, der sie schlimmer piesackte als jeder andere in der Schule, obwohl er ihr Stiefbruder war. Sie verließ die Wohnung und ging die Haustreppe hinab in den Keller, immer tiefer, immer weiter drang sie vor in die Dunkelheit, bis sie ihr eigenes Reich erreichte.
    Finster und schwarz wie ihre verdorbene Seele war es hier, so hätten ihre Eltern behauptet, wenn sie das hier jemals zu Gesicht bekommen hätten. Dabei bot ihr die Dunkelheit den Schutz und die Wärme, die das kalte Licht der Realität schon längst aus ihrem Leben vertrieben hatte.
    Mit schlafwandlerischer Sicherheit erreichte sie den verborgenen Zugang und steuerte auf die alles verschlingende Öffnung im Boden zu, um das Land ihrer geheimsten Träume durch das Schlupfloch ihrer Phantasie zu betreten.
    Ein Teil von ihr war sich bewusst, dass sie nach wie vor in ihrem Bett in der schäbigen kleinen Wohnung ihrer Stiefmutter lag. Aber dieser Teil verlor immer mehr an Einfluss. Alles, was zählte, waren die dunklen Gänge, in die sie jetzt eintauchte, die Schatten, die nach ihr griffen und zärtlich über sie strichen. Sie ging und fiel, sie rannte und stürzte, sie drehte sich um ihre eigene Achse und ging doch immer weiter vorwärts.
    Dann erreichte sie die Höhle. Sie war schon unzählige Male hier gewesen, in düsteren, einsamen Nächten, nachdem sie auf besonders schlimme Weise gedemütigt worden war und sich in den Schlaf geweint hatte. Die Höhle verlief abschüssig wie alles hier, wie jeder Gang und jede Abzweigung. Es ging immer tiefer und tiefer hinab, auch jetzt noch, als sie durch das grünlich graue Wabern auf das gegenüberliegende Ende der Höhle zuschritt.
    Sie wusste, was sie dort erwartete. Eine Senke. Gefüllt mit einer Flüssigkeit, die kein Wasser war und weder so aussah noch so roch. Bislang hatte sie die Senke noch nie erreicht. Doch diesmal war es anders. Ihre Schritte wurden beschwerlich, und fast fehlte ihr die Kraft weiterzugehen. Aber davon durfte sie sich jetzt nicht mehr aufhalten lassen, nicht diesmal!
    Und das tat sie auch nicht. Mit langsamen qualvollen Schritten erreichte sie den Rand der Lache. Ihr Herz klopfte hart und schnell, als ihr Blick auf die spiegelglatte, ölige, scharf riechende und grünlich schimmernde Oberfläche der Flüssigkeit fiel, die sich hier wie das geronnene Blut eines sterbenden Drachen gesammelt hatte. Noch nie zuvor hatte sie hier gestanden, noch nie einen Blick auf diese spiegelnde Oberfläche geworfen, die so viel heller als der blasse Schein war, der von den Wänden der ausufernden, scheinbar unendlich verzweigten Höhle reflektiert wurde.
    Was sie heute endlich erblickte, konnte sie kaum erfassen. Sie hätte ihr Spiegelbild sehen müssen, doch stattdessen starrten ihr nur zwei weit aufgerissene Augen aus der Lache entgegen. Zitternd tauchte sie eine Fingerspitze in die zähe Flüssigkeit ein. Sie fühlte sich wie geronnene Milch an und wich so schnell vor ihr zurück, als wolle sie vor ihr fliehen. Die Augen ihres vermeintlichen Abbildes rissen weiter auf, dann erkannte sie die Umrisse eines Gesichts, das nicht das ihre war – bevor es Sekundenbruchteile

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