Wyrm. Secret Evolution
all dessen, was er in den letzten Momenten erlebt hatte. Und die Ungewissheit, was mit ihm hier im Innenministerium geschehen würde. Das nahm ihn mehr mit als alles andere zuvor.
Der schwere Edelholztisch, an dem er inzwischen saÃ, bebte nicht. Der dicke Teppich unter seinen FüÃen dämpfte jeden Schritt. Und trotzdem hatte er das Gefühl, als knacke und knirsche es in der Vertäfelung, unter der abgehängten Decke, unter seinen Stiefeln. Es hätten Abertausende winziger Ameisen sein können, die in aller Heimlichkeit um sie herum ihr zerstörerisches Werk verrichteten â oder aber auch ekelhafte Maden wie unter einer vermoderten FuÃmatte.
»Nein«, murmelte er. »Nicht Maden. Würmer.«
»Was?« Renegard blickte von den zwei Tablets hoch, die er wie eine elektronische Verteidigungsanlage vor sich auf dem Tisch aufgebaut hatte. »Was haben Sie da gesagt?«
»Oh, nichts.« Tom fingerte nach einem Taschentuch und drückte es sich auf die Nase, die wieder zu bluten begonnen hatte. »Ich bin nur etwas seekrank.«
Renegard kniff die Augen zusammen, dann nickte er leicht. »Ich weiÃ, was Sie meinen. Die Vibrationen im Boden, bevor das ganze Gebäude anfing zu wackeln â die hatten etwas von einem schlecht eingestellten Schiffsdiesel.«
Jetzt war es an Tom zu blinzeln. Für den kühlen Machtmenschen Renegard war das eine schon erstaunlich poetische Umschreibung.
»Der Schlag auf die Nase war wohl ein bisschen heftig für Sie«, fuhr Renegard fort. »Sie sollten sich untersuchen lassen â sobald wir die Befragungen hier hinter uns gebracht haben.«
»Ich weià nicht.« Tom warf einen unbehaglichen Blick zur Tür. Er musste an Angy denken, an seine schöne Kollegin â und Komplizin.
Angy, seine Komplizin? Das war ein verrückter Gedanke. Sicherlich, es waren sie beide gewesen, die während ihres Handy-Experiments eine extrem hohe Strahlung in den Untergrund geschickt hatten. Aber es war dennoch grotesk zu glauben, dass sie damit die Katastrophe ausgelöst hatten, die inzwischen nicht nur die ganze Stadt in Angst und Schrecken versetzt hatte.
Oder? Ist doch ein Zusammenhang möglich?
Die Wahrheit war: Er wusste es nicht. Er wusste gar nichts mehr. Alle seine sorgfältig in den letzten Jahren aufgetürmten Gewissheiten waren innerhalb weniger Augenblicke zerstoben.
»Vielleicht sollte ich einfach gehen«, murmelte er. »Ich kann hier doch sowieso nicht helfen.« Er steckte das Taschentuch weg und stand mit einer entschlossenen Bewegung auf.
Renegard löste seinen Blick nicht einmal von seinen Tablets. Aber das war auch nicht nötig. Tom kam gerade einmal zwei Schritte weit, dann wurde die Tür aufgerissen und ein bulliger Mann im MaÃanzug hielt auf ihn zu.
Sein Gesichtsausdruck versprach nichts Gutes.
*
Alina war so in ihren Gedanken versunken, dass sie kaum mitbekam, was um sie herum geschah. Der Wintereinbruch hatte die Stadt in jeder Beziehung abgekühlt. Es waren weit weniger Menschen unterwegs als normalerweise, und auch der Verkehr hatte nachgelassen, wenn er auch nichts von der Hektik verloren hatte, die die Stadt seit der Katastrophe erfasst hatte.
All das nahm Alina nur am Rande ihres Bewusstseins wahr, so wie man bei einem Waldspaziergang das Zwitschern der Vögel und das Rauschen des Windes wahrnahm, ohne speziell darauf zu achten. Jetzt aber drang etwas in ihre Gehörgänge, das wie die Warnschreie einer ganzen Vogelschar ihre trüben Gedanken durchbrach: das Geräusch kraftvoller Schritte, die im Schnee knirschten und dabei geradewegs auf sie zuhielten.
»Hallo, junge Dame!«, ertönte eine Stimme hinter ihr. »Nicht so hastig!«
Alina blieb stehen und drehte sich langsam um. Zuerst hatte sie geglaubt, es sei ein Arzt oder Pfleger, der sie angesprochen hatte. Aber dann erkannte sie sehr schnell ihren Irrtum. Es war ein Bulle in Zivil, solche Typen erkannte sie aus meilenweiter Entfernung: verschrammte Lederjacke, Mitte dreiÃig, einer von den Typen, die auf hartes Durchgreifen standen. Mit eiligen Schritten kam er ihr näher.
Alina spannte sich innerlich an. Egal, wie geschwächt ihr Körper auch war: Sie hätte jederzeit vor dem durchtrainiert wirkenden Mann weglaufen können. Aber das Ziehen in ihrem Unterleib hielt sie noch davon ab â und das Wissen darum, was sie gerade getan hatte.
Der Mord, den sie
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