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Xeelee 2: Das Geflecht der Unendlichkeit

Xeelee 2: Das Geflecht der Unendlichkeit

Titel: Xeelee 2: Das Geflecht der Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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vielleicht all die Wellen in ihrer Komplexität erkennen. Aber das kann ich nicht. Es ist, als ob ich durch halbgeschlossene Augen schauen würde; und alles, was ich erkennen kann, sind die Wellenberge und -täler. Und dann sage ich mir – da; da ist das Elektron. Aber da ist es nicht; es ist nur der Wellenkamm… Wo die Wellenfunktion ihren höchsten Wertebereich hat, finde ich mit größter Wahrscheinlichkeit auch mein Elektron – aber es gibt noch andere Möglichkeiten.«
    »Aber die Wellenfunktionen kollabieren natürlich im Moment der Betrachtung«, dachte das Qax mit.
    »Ja.« Die Schnittstelle zwischen Quantenrealität und dem Reich der Sinne – der menschlichen Sinne – wurde durch die Meßtechnik geschaffen. »Ich lasse mein Experiment ablaufen und bestimme dann, daß sich das Elektron in diesem Augenblick« – Er piekste mit einem Finger auf den Bildschirm – »genau hier befindet. Dann kollabiert die Positionswellen-Funktion – alle Wahrscheinlichkeiten gehen gegen Null; mit Ausnahme des winzigen Abschnitts, in dem ich das Elektron lokalisiert habe. Sobald die Messung vorbei ist, entstehen die Wellenfunktionen natürlich neu und verteilen sich um die ermittelte Position des Elektrons.« Parz runzelte die Stirn. »So habe ich also durch Beobachtung tatsächlich die elementaren Eigenschaften des Elektrons verändert. Man kann den Beobachter nicht vom Beobachtungsgegenstand trennen… und man könnte sogar behaupten, daß ich durch bloße Beobachtung die Existenz des Elektrons selbst nachgewiesen habe.
    Und genau hier liegt das Geheimnis. Das Paradoxon. Schrödinger hat sich eine Katze vorgestellt, die in einem Kasten mit einem einzigen instabilen Atomkern eingesperrt ist. In einer gegebenen Zeit beträgt die Wahrscheinlichkeit eins zu eins, daß der Kern zerfällt. Wenn er es tut, wird die Katze durch eine Automatik getötet. Wenn er stabil bleibt, überlebt auch die Katze.
    Jetzt folgendes: Ignorieren wir in dieser gegebenen Zeit die Kiste und schauen wir auch nicht hinein. Sagen Sie mir: Ist die Katze tot oder lebt sie?«
    »Hier liegt kein Paradoxon vor«, erwiderte das Qax spontan. »Man kann nur auf der Basis von Wahrscheinlichkeiten antworten, bis die Kiste geöffnet wird.«
    »Richtig. Bis die Kiste geöffnet wird, ist die Wellenfunktion des Kisten-Katzen-Systems intakt. Die Katze ist weder tot noch lebendig; die Wahrscheinlichkeit für beide Zustände ist gleich groß.«
    Aber Wigner hatte Schrödingers Paradoxon auf eine noch höhere Stufe gehoben. Angenommen, ein Freund von Schrödinger würde die Kiste öffnen und nachsehen, ob die Katze tot oder am Leben ist. Kiste, Katze und Freund würden dann ein erweitertes Quantensystem mit einer komplexeren Wellenfunktion bilden, in dem der Zustand der Katze – und der Freund – bis zu einer Beobachtung durch Wigner oder jemand anders indefinit bleiben würde.
    »Die Physiker haben das seinerzeit als ›Paradoxon von Wigners Freund‹ getauft«, erläuterte Jasoft. »Es führt zu einer infiniten Regression, die auch als ›von Neumann-Katastrophe‹ bezeichnet wird. Das Kisten-Katzen-Freund-System bleibt solange indefinit, bis es z. B. von mir beobachtet wird. Doch dann entsteht ein neues System – Kiste-Katze-Freund-Ich –, das seinerseits bis zur Beobachtung durch einen Dritten indefinit bleibt, und so weiter.«
    Das Qax dachte eine Weile darüber nach. »Wir haben also, aus der Sicht der Menschen, das fundamentale Existenz-Paradoxon der Quantenphysik, wie es von diesem Wigner und seinem Klüngel aus Katzen und Freunden postuliert wurde.«
    »Ja.« Jasoft konsultierte seinen Rechner. »Vielleicht wird externe Realität tatsächlich erst durch den Vorgang der Beobachtung geschaffen. ›Ohne Bewußtsein‹, philosophierte Schrödinger, ›wäre die Welt ein Stück vor leeren Rängen gewesen, für niemanden existent, deshalb an sich schon nicht existent?‹.«
    »Gut, Jasoft. Und was sagt uns das über die Mentalität derer, die sich als Freunde von Wigner ausgeben?«
    Parz hob die Schultern. »Tut mir leid, Gouverneur. Dazu habe ich keine Hypothese.«
    Ein längeres Schweigen entspann sich zwischen den beiden; Parz schaute durch die Schleuse des Raumboots auf das unbewegte Auge des Spline.
    Plötzlich regte sich etwas am Rande von Parz’ Sichtfeld. Er verlagerte seine Position im Sessel, um besser sehen zu können.
    Der Spline-Frachter veränderte sein Aussehen. Eine vielleicht hundert Meter lange Spalte hatte sich in der gehärteten Epidermis

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