Xeelee 3: Ring
den Sitz und die Konsole.
Sie schaute durch das trübe Helmvisier, durch den Werkstoff-Käfig auf die Eisebenen von Callisto. Sie erkannte die plumpen Formen der ’bots der Northern, das Beiboot, das sie hergebracht hatte und Louises schattenhafte Gestalt. Alles wirkte entfernt und unerreichbar. Die einzige Realität bestand aus ihr selbst, in diesem Sitz und diesem fremden Schiff – und dem laut in den Ohren hallenden Geräusch ihres Atems.
In den wenigen Jahrzehnten, seitdem sie und ihr Vater zusammen mit Morrow die Lebenskuppel hinabgestiegen waren, hatte Seilspinnerin sich an viele Veränderungen gewöhnt. Allein schon das Altwerden war Herausforderung genug gewesen. Die meisten ihrer Altersgenossen im Wald hatten die ihnen von Louise angebotene AS-Behandlung ausgeschlagen, und schon nach wenigen Jahren hatten sich die physischen Altersunterschiede bemerkbar gemacht und schnell vertieft.
Seilspinnerin hatte eine jüngere Schwester: Kosmetikerin, Pfeilmachers jüngstes Kind. Mit der Zeit war das kleine Mädchen älter geworden, als Seilspinnerin ihre Mutter in Erinnerung hatte, und sie stellte ihre Besuche im Wald langsam ein.
Das Leben der Waldmenschen bewegte sich im Grunde noch immer in den traditionellen Bahnen – ungeachtet des beendeten Fluges der Northern und der Entdeckung der sterbenden Sonne. Aufgrund ihres höheren Bewußtseins – ihres größeren Verständnisses – fühlte sich Seilspinnerin dieser alten, begrenzten Welt entfremdet.
Isoliert durch das Alter und ihre außergewöhnlichen Erfahrungen, hatte sie versucht, sich an das bizarre Universum hinter den Wänden des Schiffes zu gewöhnen. Und, mit den Jahren, hatte sie sehr viel gelernt; Louise Ye Armonk hatte Seilspinnerin, trotz der ständigen Bevormundung, oft versichert, daß sie für jemanden mit ihrem primitiven Hintergrund große Fortschritte machte.
Aber nun wünschte sie sich weg von diesem düsteren, bedrohlichen Ort – sie wollte wieder nackt sein und sich durch die Bäume des Waldes bewegen.
»Seilspinnerin.« Die Stimme des künstlichen Mannes, Mark, ertönte leise in ihrem Helm. »Du mußt dich entspannen. Deine biostatischen Signale zeigen nach oben…«
»Sei ruhig, Mark.« Louise Ye Armonk kletterte zu dem Xeelee-Käfig hinauf, preßte den Körper gegen die schwarzen Stangen und schaute hinein; sie schaltete ihre Helminnenbeleuchtung ein, so daß Seilspinnerin ihr Gesicht sehen konnte. »Seilspinnerin, bist du in Ordnung?«
Seilspinnerin atmete tief durch. »Mir geht es gut.« Sie versuchte, sich auf ihren Ärger zu konzentrieren: Louise mit ihren Bevormundungen, den summenden Geist Mark. Sie fachte den Ärger zu einer Flamme des Zorns an, um die Kälte der Furcht zu vertreiben. »Sag mir einfach, was ich zu tun habe.«
»Okay.« Louise hob die Hände und trat vom Käfig zurück. »Soweit wir wissen, war der Käfig, in dem du sitzt, die Steuerzentrale des Nightfighters. Wie du unschwer erkennen kannst, wurde sie für menschliche Bedürfnisse umgerüstet. Wir haben den Sitz für dich eingebaut. Du hast auch Waldos.« [i]
»Ich habe was?«
»Waldos, Seilspinnerin. Die Metallschachteln oben auf dem Hufeisen. Siehst du sie?«
Es waren drei Boxen mit einer Länge von je dreißig Zentimetern, eine direkt vor Seilspinnerin und die anderen an den Seien. Beleuchtete Sensorfelder – die ihr mittlerweile hinreichend bekannt waren – befanden sich auf der Oberseite. Sie streckte die Hand nach der Box aus…
»Nicht berühren, verdammt«, herrschte Louise sie an.
Seilspinnerin riß die Finger zurück.
»Seilspinnerin«, erläuterte Louise mit hörbarer Ungeduld, »die Regler in diesen Dingen sind mit dem verbunden worden, was wir für die Steuerung im Innern der Hufeisenkonsole halten – und es ist auch die eigentliche Steuerung des Nightfighters und der Xeelee-Mechanik. Deshalb haben wir sie als Waldos bezeichnet… Durch die Betätigung dieser Waldos kannst du die Steuerung beeinflussen. Die Waldos sind auf Fragmenten basierende Rekonstruktionen, die von dem vernichteten Originallabor übriggeblieben waren.«
»In Ordnung.« Seilspinnerin fuhr sich mit der Zunge über die Lippen; der um den Mund herum eingetrocknete Schweiß schmeckte salzig. »Ich verstehe. Laß uns weitermachen.«
Louise hielt vor dem Käfig die Hände hoch. »Nein. Warte. So einfach ist es nun auch wieder nicht. Wir haben die Waldos aus Überresten rekonstruiert, die von den einstigen menschlichen Forschern stammten. Wir nehmen an, daß sie
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