Xeelee 3: Ring
Händen…
»Mein Name ist Morrow. Du hattest etwas… äh… Ärger mit mir.« Der Renegat schaute sich im Büro um, als ob er sich an eine unschöne Erfahrung erinnerte. »Ich war schon mehrmals hier, als du versucht hast, mir die Fehlerhaftigkeit meines Denkens aufzuzeigen…«
»Morrow. Du bist doch verschwunden.«
Morrow runzelte die Stirn. »Nein. Nein, ich bin nicht verschwunden. Milpitas, du klingst wie ein Kind, in dessen Augen ein Objekt, das es nicht mehr sieht, auch nicht mehr existiert…«
Milpitas lächelte. »Was weißt du denn von Kindern?«
»Nun, eine ganze Menge«, entgegnete Morrow. Völlig beherrscht erwiderte er das Lächeln. »Ich bin nicht verschwunden, Milpitas. Ich habe nur einen anderen Ort aufgesucht. Ich habe außergewöhnliche Dinge getan, Planer – wundervolle Dinge gesehen.«
Milpitas faltete die Hände und lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Wie bist du hereingekommen?«
»An deinen Wachen vorbei?« Morrow lächelte. »Wir sind von oben gekommen. Es hat nur Sekunden gedauert, und wir haben keinen Lärm dabei gemacht. Deine Posten hielten Ausschau nach einer Annäherung über das Deck; sie haben nicht damit gerechnet, daß jemand von oben hereinkommen würde. Sie wußten nicht einmal, daß wir im Gebäude waren, bis wir sie hochgenommen haben.«
»›Hochgenommen‹?«
»Sie sind bewußtlos«, erläuterte Morrow. »Die Waldmenschen benutzen ein bestimmtes Froschsekret, das… na, egal. Den Wachen ist jedenfalls nichts passiert.«
Milpitas suchte nach Worten – Worte, mit denen er wieder die Kontrolle über die Situation erlangen konnte. Er spürte zunehmende Panik; plötzlich waren seine Befehle nicht mehr ausgeführt worden. Er fühlte sich, als ob er sich im Herzen einer großen, sterbenden Maschine befände und auf Knöpfe drückte und an Hebeln zog, die keine Wirkung mehr hatten.
Morrows Stimme war sanft. »Es ist vorbei. Ich weiß, daß du geglaubt hast, das Richtige für die Menschen zu tun. Aber so ist es am besten, Milpitas. Noch mehr Tote wären nicht – zu vertreten gewesen. Das siehst du doch ein, oder?«
»Und die Mission?« fragte Milpitas bitter. »Die Ziele von Suprahet? Was ist damit?«
»Das ist noch nicht vorbei«, erwiderte Morrow. »Komm mit mir zurück, Milpitas. Es gibt erstaunliche Dinge dort draußen. Die Mission ist noch immer aktuell… Ich möchte, daß du mir – uns – bei ihrer Verwirklichung hilfst.«
Milpitas schloß erneut die Augen; plötzlich fühlte er sich unsagbar alt, als ob die Energie, die ihn fast tausend Jahre lang aufrechterhalten hatte, schlagartig aus ihm hinausströmte.
»Ich weiß nicht, ob ich das kann«, entgegnete er aufrichtig.
Schließlich stellte jemand in den Tiefen des Tempels die Sirene ab; die letzten, enervierend heulenden Echos brachen sich an dem niedrigen, klaustrophobischen Metallhimmel.
20
RUHIG UND GERÄUSCHLOS nahm das Beiboot Kurs auf Titan.
Louise klammerte sich an ihren Sitz. Die Wandung war transparent, so daß sie den Eindruck hatte – eingepackt in ihren Raumanzug, wobei ein Katheder stümperhaft in sie eingeführt worden war –, hilflos über den hellbraunen Wolken des Titan zu hängen.
Über ihr entfaltete der Xeelee-Nightfighter seine weiten Schwingen.
Titan, Saturns größter Satellit, war eine Welt für sich: Mit einem Durchmesser von fast fünftausend Kilometern war er größer als der irdische Mond. Beim Näherkommen nahm die Wolkendecke die Gestalt einer unendlich flachen, strukturierten Ebene an. Riesige Tiefdrucksysteme bewegten sich im photochemischen Smog spiralförmig um die Welt, und kleine Höhenwolken jagten durch die Stratosphäre.
Die ersten dünnen Ausläufer der Atmosphäre kräuselten sich um die Hülle des Bootes. Über ihnen verschwammen bereits die Sterne.
Plötzlich sackte das Boot ab. Sie wurde in den Sitz gepreßt. Dann wurde das kleine Schiff seitlich abgedrängt und schaukelte bedrohlich.
»Verdammt«, kommentierte Louise indigniert und rieb sich den Steiß.
Louise hatte Seilspinnerin in der Kabine zurückgelassen, um den Kurs des Bootes auf dem Rechner zu verfolgen. »Bist du in Ordnung?« fragte Seilspinnerin jetzt.
»Ging mir schon besser… Mir ist nichts passiert, Seilspinnerin.«
»Du weißt, daß du mit einem solchen Vorgang rechnen mußtest.
Die Atmosphäre von Titan hat eine Dicke von hundertsechzig Kilometern: Viel Platz für stürmisches Wetter. Und außerdem gibt es noch Höhenwinde im oberen Abschnitt der Atmosphäre.«
Es war jetzt
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