Xeelee 3: Ring
Lächeln. »Ist alles Teil von Milpitas’ Therapie«, hatte er erklärt.
Die ganze Umgebung entwickelte sich positiv: Die Decks hatten sich aus dem düsteren Gefängnis aus Eisenwänden, das sie während des langen Fluges unter den Planern gewesen waren, in eine grün bewachsene Waldesphantasie verwandelt. Bäume wuchsen einem aus dem Himmel entgegen, ein Hoch auf das Leben. Und irgendeine inspirierte Seele hatte Kisten mit Blumensamen aus den Lagern der Northern geöffnet; nun waren die kopfüber hängenden Wiesen in der Regel mit Glockenblumen übersät.
Die alten Korridore wurden indessen noch immer von den alten, quaderförmigen Häusern und Fabriken gesäumt. Aber viele dieser Gebäude waren verlassen; sie hockten geduckt auf den Flächen wie leere Schalen. An ihrer Stelle waren neue Häuser in der Luft errichtet worden: geräumige, offene Gebäude, die locker auf der jeweils nächsten Oberfläche verankert oder auf dünnen, unglaublich fragilen Stelzen befestigt waren.
Sie hielt Marks Hand, schwebte durch die Hühner-Wolke und tauchte in den Geruch des Hühnerhofs ihrer Kindheit ein (…oder zumindest in eine virtuelle, aufgeräumte Version). »Weißt du«, sagte sie, »die Schwerelosigkeit war vielleicht das Beste, was dieser Gesellschaft passieren konnte. Langsam werden die Decks nämlich zu einem Ort, an dem man anständig leben kann.«
Mark grunzte. »Aber es hat lange gedauert. Und manchmal kommt es mir so vor, als ob das alles ein wenig irreal wäre.«
»Was meinst du damit?«
Er fuchtelte mit einer Hand. »Die merkwürdige, luftgestützte Gesellschaft, die hier entstanden ist. Ich meine, hinter diesen Wänden aus Gras gibt es nichts – nichts außer einer intergalaktischen Wüste, die wir auf der Suche nach einer Spezies durchqueren, mit der sich die Menschheit seit Megajahren im Krieg befindet…«
Durch das Universum fliehen wir, dachte Lieserl, mit Hühnereiern und Glockenblumen …
»Vielleicht stimmt das ja«, meinte sie. »Aber was soll’s? Ist das etwa schlecht? Was können die Leute hier denn schon anderes tun, als ihr Leben leben und die Infrastruktur der Lebenskuppel instandhalten? Das Bewußtsein der externen Bedingungen – das Universum seit Megajahren ein himmlisches Schlachtfeld, über das wir fliehen – kommt mir wie ein morbides, lähmendes Bewußtsein des Todes vor. Mark, wir sind Zaungäste mitten in einem Krieg. Über eine Perspektive zu sinnieren dürfte wohl das Letzte sein, was wir jetzt brauchen.«
Er grinste und legte die Hände auf ihre bloßen Hüften. Seine Augen blickten lebendig und leuchtend blau aus dem kaffeebraunen Gesicht. »Du hast sicher recht.« Er zog sie an sich, und sie spürte die Festigkeit einer neuen Erektion auf ihrem Schamhaar. »Was könnten wir denn sonst schon tun, außer unseren Instinkten zu folgen?«
Sie spürte, wie sich ein kleiner, begrenzter Teil von ihr unter seiner Wärme öffnete. Sex – selbst diese virtuelle Rekonstruktion – war wundervoll, und ansatzweise wurde sie wieder daran erinnert, wieviel ihr während ihres kurzen, konstruierten Lebens entgangen war. Sie hatte zwar fünf Millionen Jahre existiert, war aber ihres alten, menschlichen Erbes beraubt worden.
Sie hob die Arme und schlang sie um Marks Hals. »Du solltest mich vorsichtig behandeln«, meinte sie. »Ich bin nämlich eine alte Dame, mußt du wissen…«
Er beugte den Kopf zu ihr hinunter und küßte sie; sie fuhr mit der Zunge über seine scharfen Zähne.
Um sie herum raschelten die Hühner leise, und lose Federn schwebten in der Luft wie Schneeflocken.
26
ES WAR EIN GUTER TAG für Seilspinnerin.
Sie hatte einen Bienenstock hoch oben in einem Baum gefunden. Die Bienen hatten bei ihrer Annäherung alarmiert gesummt, aber sie hatte den Baum vorsichtig umgangen und ihre üblen Stiche vermieden. Etwas unterhalb der dicken, klobigen Form des Bienenstocks entzündete sie ein kleines Feuer in einer Ritze in der Rinde und fachte die Flammen mit feuchten Blättern an; sie ließ den dichten Rauch hochwabern und den Stock einhüllen. Die orientierungslosen und aufgeschreckten Bienen fluteten in den Rauch hinaus und zerstreuten sich harmlos.
Die triumphierend heulende Seilspinnerin kletterte zu dem verlassenen Bienenstock zurück, brach ihn mit ihrer Axt aus dem Metall der Unterleute auf und brachte mehrere Handvoll Waben zum Vorschein, von denen der Honig troff. Sie stopfte sich das nahrhafte, goldene Zeug in den Mund und labte sich daran; der Honig verschmierte ihr
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