Xeelee 3: Ring
»Ich glaub’s auch so. Das ist aber auch gar nicht der Punkt. Dies hier soll offensichtlich die Lebenskuppel eines GUT-Schiffes darstellen – zwar eine kleine, simple, primitive Konstruktion im Vergleich zu meiner Northern, aber nichtsdestoweniger ein GUT-Schiff. Und…«
Licht, blau wie von statischer Elektrizität, durchflutete die Kuppel. Die Explosion war überwältigend in ihrer Helligkeit; Louise zuckte furchtsam zusammen. Ihr Schatten – scharf konturiert, schwarz, völlig künstlich – schien zu ihr hochzusehen und sie zu verhöhnen.
Sie hob den Kopf. Jenseits der transparenten Kuppel über ihr segelte ein Artefakt – ein himmelblau glühender Tetraeder – an dem Segment des wie Jupiter aussehenden Planeten vorbei. Es war eine Gitterkonstruktion aus glühenden Stäben: Auf den ersten Blick schien das Gitter offen zu sein, aber dann konnte Louise das Glitzern kaum wahrnehmbarer, goldbrauner Lichtmembranen ausmachen, die sich zwischen den offenen Flanken erstreckten. Diese Membranen transportierten Vexierbilder von Sternenfeldern, von Sonnen, die nie über Jupiter geschienen hatten.
»Ein Wurmloch-Interface«, stellte Milpitas atemlos fest.
»Offensichtlich«, konstatierte Uvarov. »Wir befinden uns also in einem virtuellen GUT-Schiff, das Kurs auf ein Interface in der Jupiter-Umlaufbahn nimmt.« Er drehte sich zu Louise um und machte kein Hehl aus seiner Entrüstung. »Haben Sie es immer noch nicht kapiert?« Er wedelte mit der Hand. »Die Bedeutung dieser lächerlichen Show?«
Louise lächelte. »Wir sind in der Hermit Crab, richtig? Auf Michael Pooles Schiff.«
»Ja. Kurz bevor es in Pooles Interface einflog – kurz bevor Poole sich selbst umgebracht hat.«
»Nicht ganz«, sagte eine Stimme aus dem Zentrum der Lebenskuppel. Eine der Couches schwenkte langsam herum, und ein Mann erhob sich unbeholfen. Er kam auf sie zu und tauchte in das grelle blaue Licht ein, das von dem in überhöhter Position stehenden Interface emittiert wurde. »Wir wissen überhaupt nicht, ob Poole umgekommen ist oder nicht«, erklärte er. »Er ist aber sicherlich verschollen. Er kann durchaus noch am Leben sein – obwohl es schwer ist, einem Wort wie ›noch‹ eine Bedeutung zuzuordnen, wenn Raumzeit-Verwerfungen durchquert werden, die sich über Jahrhunderte erstrecken.«
Der Mann lächelte. Er war dünn und sah erschöpft aus, wobei sein physisches Alter nach Louises Einschätzung etwa sechzig Jahre betragen mochte; er trug einen schmutzigen Overall.
Das Gesicht – die Kleidung – kamen Louise beklemmend vertraut vor; hundert Erinnerungen drängten sich ungebeten vor ihrem geistigen Auge.
»Ich kenne dich«, sagte sie langsam. »Ich erinnere mich an dich; ich habe mit dir zusammengearbeitet. Aber du warst in der Zeit verloren…«
»Mein Name«, eröffnete der Mann, »ist Michael Poole.«
Lieserl wollte sterben.
Es war ihr neunzigster Tag, aber es war ihr neunzigstes physisches Jahr. Sie war unglaublich schwach – sie konnte nicht einmal gehen, essen oder sich waschen. Die gesichtslosen Männer und Frauen, die sie pflegten, hatten sie fast zu spät geladen, dachte sie verächtlich; sie hatten schon eine Heidenangst bekommen, als sie sich irgendwie eine Lungeninfektion zuzog, die sie beinahe umgebracht hätte.
Sie war alt – physisch wahrscheinlich der älteste Mensch im gesamten Sonnensystem. Sie fühlte sich, als ob sie unter Wasser wäre: Ihre Sinne waren völlig abgestumpft, so daß sie kaum etwas fühlen, schmecken oder sehen konnte, als ob sie in einer dämpfenden, viskosen Flüssigkeit eingeschlossen wäre. Und ihr Verstand versagte.
Sie konnte das nahende Ende spüren. Es war wie ein gespenstisches Zurückspulen ihrer beschleunigten Kindheit. Bei jedem neuen Erwachen stellte sie einen fortschreitenden Verfall fest. Sie fürchtete sich mittlerweile vor dem Schlaf, konnte ihm aber nicht entrinnen.
Und mit jedem Tag kam ihr das Bett immer größer vor.
Aber sie bewahrte sich ihren Stolz; sie konnte die Würdelosigkeit des Vorgangs nicht ertragen. Sie haßte alle, die sie in diese Lage gebracht hatten.
Der letzte Besuch ihrer Mutter im Habitat, wenige Tage vor dem Laden, war bizarr. Lieserl konnte Phillida mit ihren zerstörten, rheumatischen alten Augen kaum erkennen – diese junge, weinende Frau, nur ein paar Wochen gealtert, seit sie ihr Baby in die Sonne gehalten hatte.
Sie konnte ihrer Mutter nicht verzeihen, daß sie ihre Existenz geopfert hatte – die Art, wie ihr das Verständnis
Weitere Kostenlose Bücher