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Xeelee 5: Vakuum-Diagramme

Xeelee 5: Vakuum-Diagramme

Titel: Xeelee 5: Vakuum-Diagramme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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verletzt und mich angegriffen… Er hat sein Leben für nichts und wieder nichts verloren. Doch nun ist es vorbei. Er ist weg, und…«
    »Was, wenn er doch überlebt hat?«
    »Erwal…«
    Sie seufzte, löste sich von ihm und streifte die Leggins über die immer noch kalten Füße.
    Damen setzte sich und starrte stumm ins Feuer.
    * * *
    Während sie sich durch den Schnee kämpfte, hörte Erwal Fetzen eines Lieds. Die getragene, harmonische Melodie wurde vom Wind zerrissen, und zunächst glaubte sie an eine Halluzination. Dann schälte Suras Tipi sich aus dem Schnee. Davor machte sie eine Reihe flacher Erhebungen aus, die in etwa ihre Größe hatten. Ab und zu stach ein Arm aus einer Kuppe, und die beiden überaus menschlichen Hände an der gegabelten Spitze rieben aneinander. Die Liedtexte wurden verständlicher.
    Schließlich erkannte Erwal die alten Lieder der Mummy-Kühe.
    Fünf Kühe, fast der gesamte Bestand des Dorfs, hatten einen engen Kreis um eine sechste Kuh gebildet; sie lag im Mittelpunkt des Kreises, und Erwal sah, dass eine viskose Flüssigkeit aus ihrem Körper in den Schnee gesickert war. Sie schlug die Kapuze zurück. »Sand? Bist du hier?«
    Eine der Mummy-Kühe hob den Kopf; unter einer Kappe aus Schnee kreiste ein kompakter zylindrischer Schädel auf einem Halsgelenk, und tellergroße Augen richteten sich auf Erwal. »…Ich binn-n h-hier, Err-waal…«
    Erwal berührte das zottelige Fell, mit dem Sands Maul bedeckt war. Seit Erwals Kindheit war Sand ihre Lieblings-Kuh gewesen. »Was ist denn los? Weshalb habt ihr euch hier versammelt?«
    Sand stöhnte und zog mit den zarten Fingern eine Furche in den Schnee. »Es iss-s Cale. Wir… s-singen für sie…«
    »Singen? Aber wieso?«
    Sand schloss die Augen.
    Erwal drehte sich um und warf einen Blick auf den Körper in der Mitte der Gruppe. Cale lag stumm und reglos da, und als Erwal die Finger durchs Fell stieß, spürte sie nur noch eine Restwärme.
    Wie war das nur möglich? Die Mummy-Kühe vermehrten sich dieser Tage kaum noch – es gab nicht mehr genug Futter, um die Population aufzufüllen –, doch sie waren praktisch unsterblich. Sie ging um die am Boden liegende Kuh zu der feuchten Stelle, die ihr zuvor schon aufgefallen war. Sie bückte sich und berührte die Flüssigkeit. Es war Blut. In der Hocke tastete sie den Bauch der Mummy-Kuh ab und strich übers durchnässte und verfilzte Fell. Da war ein Riss im Leib, ein mindestens zwei Fuß langer Schnitt. Er war glatt und sauber: von einer Steinklinge verursacht.
    Sie sog die kalte Luft in tiefen Atemzügen ein und zwang sich dazu, das klaffende Fleisch auseinander zu drücken und mit beiden Händen in die schimmernden Eingeweide der Kuh zu greifen.
    Sie stieß auf ein starres kaltes Etwas. Därme hatten sich wie eine Spule um den Leib gewickelt, um ihn zu wärmen, doch es war ein hoffnungsloses Unterfangen gewesen. Erwal tastete den Embryo ab und fand winzige harte Knospen, die anstelle der verlorenen Hände des Kinds nachgewachsen waren.
    »Sie ist tot, nicht wahr?«
    Erwal zog die Arme heraus, rieb sie mit Schnee ab, um sie zu säubern, und verbarg sie wieder unter der Kleidung. Sura stand mit herabbaumelnden Armen neben ihr. »Ja, Sura. Es tut mir leid.«
    »Bei deinem Mann hat es doch geklappt, oder? Bei Teal, meine ich. Diese Mummy-Kuh, die ihn zu den Acht Kammern begleitet hatte, hat ihm das Leben gerettet, indem sie sich selbst den Bauch aufschlitzte… Du wirst mich nun sicher verachten, weil ich eine Kuh getötet habe.« Sura klang nur noch resigniert, nicht mehr betroffen. »Wirst du mich dafür bestrafen?«
    Erwal stand auf. »Nein, Sura. Ich verstehe dich.«
    »Wirklich?«
    »Du hast versucht, dein Kind zu retten. Wahrscheinlich hätte jeder von uns so gehandelt. Komm mit.« Sie fasste Sura am Arm. »Gehen wir in dein Tipi.«
    * * *
    Am ersten klaren Frühlingstag marschierten die Dörfler schweigend zu einem flachen Hügel eine Meile vom Dorf entfernt. Nachdem sie monatelang im muffigen Tipi gehockt hatte, sog Erwal die kalte, frische Luft in tiefen Zügen ein und spürte, wie das Blut in Wallung geriet. Mit neu erwachten Lebensgeistern ließ Erwal den Blick schweifen. Es war ein ruhiger, windstiller Tag; über ihr glitzerten die Seen und Flüsse von Heimat wie Fäden in einem Teppich. Das rötliche Licht der Sonne war fast erhebend, und verharschter Schnee knirschte unter ihren Füßen. Sie versuchte sich vorzustellen, wie es vor ihrer Zeit gewesen sein musste, als die Sonne gelb

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