Xperten - Der Anfang: Kurzgeschichten
gereicht. Freilich trinken selbst die meisten Einheimischen aus Airtsua die Eeffak-Suppe nicht pur, sondern verdünnen sie häufig mit Hclim, einer eigenartigen weißen Flüssigkeit, die man durch das Quetschen gewisser Tiere gewinnen kann. Häufig wird eine Huk verwendet, aber auch Negeiz und Efahcs werden manchmal herangezogen. Übrigens würzt man die Eeffak-Suppe manchmal mit einem weißen Granulat, lokal Rekcuz genannt, das aus sonderbaren kegelförmigen Früchten, die im Boden wachsen, den Nebür, durch einen komplexen Prozess (»Rekcuz-Gnureiniffar«) gewonnen wird.
Nicht nur die Frühstückssuppe ist in Airtsua ungewöhnlich. Auch das Essen mutet fremd an. Durch einen Verfaulungsprozess wird aus Hclim eine seltsame gelbliche, eher übel riechende Masse, Esäk genannt, hergestellt, die zum Beispiel mit Trob-Fladen gegessen wird. Ähnliche Fladen bestreicht man häufig auch mit Ginoh, einem Sekret der Insektenart Eneib. Dies klingt (jedenfalls für Außenstehende) besonders gefährlich, da dieselben Insekten auch ein unangenehmes Gift absondern können.
Für mich aber am meisten abstoßend ist die in Airtsua gängige Sitte, die nur halb gekochten Embryos (Reie genannt) hauptsächlich der Renhüh zu essen, wobei man häufig einen gemahlenen Zlas-Stein (!!) zum Würzen verwendet.
… Und wer noch nicht mitgekriegt hat, worum es in dieser Geschichte geht, soll sie nochmals lesen, aber alle »fremdländischen« Wörter von hinten nach vorn. Die »Moral« von der Geschicht: Auch alltägliche Dinge klingen (und sind) sonderbar, wenn man sie nur von einem bestimmten Standpunkt aus betrachtet. Hüten wir uns also davor, ungewöhnliche Dinge vorschnell zu verurteilen, und hüten wir uns davor, Gewohnheiten, nur weil es sich um solche handelt, als »natürlich«, »gut« oder sonst irgendwie irrational-emotional belegt zu beschreiben! Niek Ratnemmok!
5.8 Der Kuss
In der Faschingszeit, wo man sich vielleicht ein bisschen schneller als sonst einen Kuss zuhaucht (oder nicht nur zuhaucht), muss einmal daran erinnert werden, dass der Ausdruck »Kuss« recht jung ist; er geht nämlich zurück auf die Dissertation von Wilhelm Küß (1832, Heidelberg), der für die vorher üblichen Ausdrücke (wie Busserl, Schmatzer u. a.) erstmals den Überbegriff Küß einführte. Aus diesem Wort entwickelte sich im Deutschen der Kuss:
Der Umlaut »ü« blieb nur im Zeitwort »küssen« und im Plural »Küsse« erhalten, während zum Beispiel im Englischen mit »kiss«, »kisses«, »kissing« der ursprüngliche Wortlaut bis heute besser überlebte.
Die Thesen in der Dissertation von Küß sind in vielen Punkten anzweifelbar; sie sind aber amüsant genug, dass ich hier kurz auszugsweise über sie berichte (wobei ich notgedrungen die altertümlichen Formulierungen etwas modernisiere):
Küß definiert einen Kuss so:
»Ein Kuss erfolgt, wenn die Lippen oder Teile des Mundes einer Person einen Teil des Körpers einer anderen Person berühren.«
Bevor ich auf das Hauptwerk von Küß, seine Klassifikation der Küsse, eingehe, darf ich die Subtilität, aber auch die Schwächen obiger Definition nicht verschweigen. Da in der Definition von zwei verschiedenen Personen die Rede ist, kann man sich zum Beispiel nicht selbst küssen (etwa sich selbst einen Handkuss geben); diesen Aspekt hat Küß also berücksichtigt, genau wie er Küsse zwischen gleichgeschlechtlichen Personen, Zungenküsse usw. sehr geschickt in seiner Definition subsumiert.
Freilich hat die Definition auch große Schwächen, wie die Hauptkritiker (zum Beispiel Weber 1833, Francisto 1834, Malkter 1836 u. a.) nicht müde wurden aufzuzeigen:
1. Beißt ein Mensch einen anderen, so gilt das (nach Definition) als Kuss, argumentiert zum Beispiel Weber; Küß verneint dies, »weil ein Biss den Tatbestand der Berührung deutlich übersteigt«.
2. Francisto wieder meint, dass man vielleicht »das Abschlecken eines Körperteils einer anderen Person mit Küß gerade noch als Kuss bezeichnen kann, das Aussaugen des Giftes bei einem Schlangenbiss aber den Tatbestand Küssen wohl wahrlich nicht mehr erfüllt«. Er schlägt daher vor, die Definition durch die Erwähnung von »Zuneigung oder vorgetäuschter Zuneigung« zu erweitern. (Küß hat übrigens dazu nie Stellung bezogen. Er verliebte sich 1833 unsterblich in eine Kollegin und interessierte sich ab da offenbar mehr für die Praxis als die Theorie des Küssens.)
3. Nach der obigen Definition von Kuss ist weder der Kuss eines
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