You are Mine
nach einem Tausend-Kilometer-Marsch in einem Hagelsturm in ein warmes, trockenes Bett fallen. Die Erleichterung ist so übermächtig, dass ich sie fast schmecken kann.
»Ich weiß nicht, Sarah. Im Moment fühle ich mich nicht danach, von Leuten umgeben zu sein.«
»Wir sind keine Leute , wir sind deine Familie.« Sie zieht ihre Hand aus meiner. »Ich komme morgen wieder, okay? Denk drüber nach.« Und sie wirkt so verletzt, so verwirrt, als sie vom Bett aufsteht.
»Sarah, warte. Es tut mir leid, okay?«
Wann ist meine kleine Schwester erwachsen geworden, wann hat sie sich in diese dünne, schmalgesichtige junge Frau mit dem vernünftigen Haarschnitt und den kurzen, gutgepflegten Nägeln verwandelt? Ich kann das Mädchen, das ich früher im Garten an den Handgelenken herumgewirbelt habe, während Ginny kichernd darauf wartete, auch endlich dranzukommen, kaum noch erkennen. Sie ist mir entglitten. Sie alle sind mir entglitten, meine ganze Familie. Kaum bin ich von zu Hause ausgezogen, habe ich sie quasi vergessen und wieder entschuldige ich mich bei ihr. Es tut mir alles leid.
Sarah nickt. »Mum will dich wirklich zu Hause haben, sie hat sich regelmäßig im Schlafzimmer eingeschlossen, um zu weinen. Sie hat oft geweint.«
Aber sie sind mir entglitten, oder ich habe mich entfernt – es spielt keine Rolle. Keiner von ihnen könnte es verstehen, selbst wenn ich einen Weg finden würde, ihnen zu erklären, was ich in diesen letzten, zerstückelten Monaten durchgemacht habe. Zu was ich geworden bin.
Mit dieser Sache bin ich allein. Ich war immer allein.
Richtig?
»Also?«, drängt Sarah. »Was sage ich Mum?«
Ich schlucke schwer. »Sag ihr, dass es mir leidtut.«
»Ist das alles?«
»Alles, was ich im Moment geben kann.« Ich versuche zu lächeln. »Ich nehme an, ich sehe dich morgen?«
»Ja«, antwortet sie. »Wir sehen uns morgen.«
∞
Die Fenster in St. Patrick’s Cathedral schimmern gelb wie alte Augen. Das Licht und das ständige Flüstern um mich herum verursachen mir Kopfweh und diese Leute, die sich in die Bänke gedrückt haben wie Pendler in der Rushhour. Es ist so verdammt kalt hier drin, mein Atem steigt in Wolken vor meinem Gesicht auf und vernebelt die Kirschen auf dem Hut der Frau vor mir. Echte Kirschen, rot und glänzend, aber eine von ihnen schimmelt bereits grünlich und ich frage mich, ob die Frau es weiß.
Irgendwie erscheint es mir unhöflich, danach zu fragen.
Inzwischen müssen alle hier sein, alle, die zählen. Die Sargoods sitzen mit steifem Rücken in der ersten Bank, Bailey hat eine Hand auf die Schulter seines Vaters gelegt und dort, in einer nahegelegenen Bank, sitzt eine Frau, die mir ihr Gesicht halb zuwendet und zu den hölzernen Engeln hinaufschaut, die aus den Enden der Deckenpfeiler geschnitzt sind. Ich lehne mich vor und schaue genauer hin. Ruth, ist es wirklich Ruth? Ja, und der Platz neben ihr ist leer.
Ich bewege mich so schnell, wie der Ort es mir erlaubt, bin mir der Leute, die sich umdrehen, nur allzu bewusst. Ihre Mienen sind nicht zu deuten, aber trotzdem unfreundlich. Jetzt dreht Ruth sich auf ihrem Sitz. Ihre Miene ist nur allzu leicht zu lesen. Eine Mischung aus Wut und Abscheu. Mit einem fast unmerklichen Kopfschütteln wendet sie den Blick ab und für eine Sekunde stehe ich einfach nur verwirrt da.
Jemand zieht mich am Ärmel. Eine ältere Frau mit Adlernase, älter als die Sünde, sogar älter als Äpfel. »Du wirst dich hinsetzen müssen, Liebes. Es fängt in ein paar Minuten an.«
Aber jemand hat mir meinen Sitz weggeschnappt, die ganze Kathedrale ist jetzt bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Nachzügler sind gezwungen, sich stehend an den Wänden aufzureihen. Ausgebreitet über ganze zwei Bankreihen stoßen sich die Marionetten gegenseitig mit den Ellbogen an und kichern hinter vorgehaltenen Händen. Joaquin wirft mir einen wissenden Blick zu, bewegt seine schwarzlackierten Finger in einem trägen Winken. Ich wende mich ab, nur um mich Auge in Auge mit Serge wiederzufinden, der sich seine salamanderartigen Lippen leckt und ein paar Worte sagt, die ich nur halb verstehe.
cleveres kleines Mädchen
Zu offensichtlich suche ich mit den Augen nach einem freien Sitzplatz und erst jetzt fällt mir auf, dass der Deckel des Sarges weit offen steht. Die rote Innenverkleidung sieht aus wie eine offene Wunde. War er vorher nicht geschlossen, die silbernen Verschlüsse sorgfältig verriegelt, ein Kranz aus glatten weißen Lilien auf dem noch glatteren,
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