You are Mine
Hexe!« Erin lässt endlich meine Hand los. »Ich bin nur eine Frau, die zufällig eine Menge weiß. Hilfreiches Zeug, und ich nehme an, so ziemlich genau das, was du im Moment brauchst.«
»Eine Hexe.« Ich ziehe mich so höflich wie möglich zurück, während ich mich frage, was zur Hölle sich Ruth dabei gedacht hat, so eine New-Age-Spinnerin ins Haus zu holen, als wäre sie eine streunende Katze. Woher kennt sie sie überhaupt?
»Ich bin keine Hexe«, korrigiert mich Erin. »Und ich bin auch keine durchgeknallte Irre. Ich bin nur eine Freundin von Ruth, irgendwie. Wir haben eine Weile zusammengewohnt und außerdem, Süßer, wenn auch nur die Hälfte von dem wahr ist, was dieser Serge-Schwachkopf geschrieben hat, dann brauchst du mich, wie Flöhe einen Hund brauchen. Also würde ich hier keine voreiligen Urteile fällen. Okay?«
Ich bin fassungslos. »Was bist du, eine Gedankenleserin oder was?«
Erin lacht, ein so heiseres Geräusch in der Stille des Hauses, dass ich zusammenzucke. »Sei nicht blöd. Es stand dir ins Gesicht geschrieben: Wer ist diese verrückte Spinnerin und in welcher Dimension hat Ruth sie gefunden? « Sie summt die Titelmelodie von Twilight Zone und bewegt dazu geisterhaft die Finger.
Sie hat recht. Ich bin kaum in der richtigen Position, um die geistige Gesundheit anderer infrage zu stellen. Also berühre ich mit einem verschrumpelten Zeh die Tagebücher.
»Du hast dir das alles also durchgelesen?«, frage ich. »Steht drin, was hier vorgeht, was mit mir geschieht? Verstehst du es?«
»Ja, ja und ja.« Jetzt ist ihre Miene ernst. »Ich verstehe genug.«
»Und kannst du es aufhalten?«
»Willst du die Wahrheit? Ich weiß es wirklich nicht.« Sie seufzt, aber ihr Blick ist unerschrocken und verlässt nicht für einen Moment mein Gesicht. »Aber ich sage dir was, Alex. Ich werde mein Allerbestes geben.«
∞
Ich sitze neben Ruth am Küchentisch und beobachte Erin, wie sie auf dem Herd ein übelriechendes Gebräu anrührt. Ab und zu wirft sie eine Prise seltsame Kräuter oder undefinierbaren Puder aus der Ansammlung von Plastiktüten und winzigen Glasflaschen hinein, die neben ihr aufgereiht stehen.
»Ich könnte dir erzählen, was da alles drin ist, aber dann müsste ich euch wahrscheinlich …«
»Umbringen?«, beende ich den Satz für sie.
»Nein, erklären, wie ich an die Zutaten gekommen bin.« Sie zwinkert mir zu. »Und dann müsste ich euch umbringen.«
Ruth, die seit fünf Minuten mit sorgenvoll zusammengepressten Lippen aus dem Fenster starrt, die Augen auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne gerichtet, reagiert überhaupt nicht. Ich schlage sie sanft auf die Schulter – »Komm, entspann dich ein bisschen« – und sie zuckt zusammen, bevor sie mir einen unsicheren, mahnenden Blick zuwirft.
»Ich versuche es, Alex. Das ist alles ziemlich schwer zu schlucken, weißt du?«
Ja, das gebe ich zu. Ruth ist die Tagebücher durchgegangen, während ich geschlafen habe. Erin hat sie erst angerufen, als sie mich alleine nicht wach bekommen konnte. Das, was sie gelesen hat, hatte sie genug verängstigt, um zu glauben, dass ich unter irgendeinem Zauber oder Fluch stand, also hat sie sich – wenn auch widerwillig – an die eine Person gewandt, von der sie wusste, dass sie vielleicht helfen konnte.
Im Moment dürfte sie mit ziemlich großen Verschiebungen in ihrem persönlichen Glaubenssystem zu kämpfen haben. Aber trotzdem muss ich es wissen.
»Du glaubst mir jetzt, oder? Glaubst mir wirklich, meine ich, statt nur zu glauben, dass ich glaube oder irgendwas in der Art?«
Ruth hebt eine Hand und bittet mich, sie nicht zu bedrängen. Bis letzte Woche habe sie nicht einmal die potenzielle Möglichkeit der Existenz von Hexen oder geisterhafter Besessenheit erwogen und jetzt, wo es aussieht, als müsste sie genau das tun, kämpft ihr Hirn immer noch damit. Aber im Herzen glaubt sie es. Oder zumindest beginnt sie zu glauben.
»Drängel nur nicht so«, sagt sie. »Okay?«
Ich lege eine Hand auf ihre. »Okay.«
Erin streut etwas Neues in ihre Brühe, die jetzt ein sumpfiges Grün zeigt und schlimmer stinkt als alte Sportsocken.
»Du erwartest wirklich von mir, dass ich das trinke?« Schon bei dem Gedanken hebt sich mein Magen.
»Es schmeckt nicht so schlimm, wie es riecht«, versichert mir Erin. »Na ja, nicht ganz so schlimm.« Das Zeug wird mir dabei helfen, mich von meiner Körperlichkeit zu lösen, erklärt sie. Es wird mich tief in meinen eigenen Geist reisen lassen, um
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