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You are Mine

You are Mine

Titel: You are Mine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirstyn McDermott
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lebende Fleisch des Flurs. Der jetzt anders aussieht als vorhin, als ich ihn verlassen habe, die Spiralen ein wenig, aber bedeutsam verändert. Das aufwendige Muster der Venen verändert sich unter meinen Augen selbst und dreht sich in Spiralen um ihre Mitte.
    Frustriert lehne ich meinen Kopf gegen die Wand. Madigan in dieser ständigen Veränderung finden zu wollen erscheint mir hoffnungslos. Das Labyrinth könnte aus einer unendlichen Anzahl von Zimmern und Gewölben bestehen; es wäre fast unmöglich, sie alle abzusuchen, und außerdem, was ist, wenn sie sich auch bewegt? Immer zwei Schritte vor mir bleibt oder auch hinter mir?
    Unmöglich. Es war alles umsonst.
    Dann höre ich es.
    Flüstern. Kaum hörbar, wie weit entfernte Windböen im Gras, Tausende leise Unterhaltungen, die ineinanderfließen und um Aufmerksamkeit heischen. Jetzt, wo ich sie bemerkt habe, sind die Geräusche offensichtlich, aber trotzdem unverständlich. Sie kommen aus den Wänden selbst oder erklingen dahinter. Ich strenge meine Ohren an, um eine oder zwei Silben zu verstehen, aber das gelingt mir nicht. Also mustere ich die Wände selbst, suche nach einem Muster innerhalb des Musters, einer Eingebung, nach dem Schlüssel, um all das um mich herum zu enträtseln.
    Aber wieder nichts. Nichts.
    Wie gut kennst du dich selbst?
    Anscheinend nicht gut genug. Das einzige, das mir bleibt, ist es auf gut Glück zu versuchen und ich frage mich, wie viel von diesem Ort ich erkunden kann, bevor der Trank nachlässt. Oder bevor Madigan aufwacht und beschließt, mich suchen zu gehen. Bereit oder nicht.
    Ich atme tief durch, dann werfe ich mich gegen die nächstgelegene Spirale, die Hände wie im Hechtsprung vor mir ausgestreckt, und dränge mich in –
    – das alte Zimmer meiner Schwestern im Haus meiner Eltern. Vor langer, langer Zeit, wenn ich nach dem schäbigen, gestreiften Teppich auf dem Boden gehe und dem Etagenbett, das an einer Wand steht. Bevor ich zu Hause ausgezogen bin, bevor Dad die obere Hälfte des Hochbettes hat verschwinden lassen, damit Sarah beim Einschlafen die im Dunkeln leuchtende Galaxie sehen konnte, die sie an die Decke geklebt hatte.
    Denn beide Mädchen liegen jetzt im Hochbett, mit glänzenden Gesichtern und schniefend. Ginny lässt ein Bein heraushängen und auf ihrer Haut sehe ich eine Menge rote, blasige Beulen. Meine Mutter eilt in den Raum, ein Tablett mit Schalen und Tassen und Calamine Lotion darauf – »Du sollst hier nicht drin sein, Alex. Willst du auch krank werden?« – und ich trete zurück und gehe ihr aus dem Weg, wie ich es scheinbar immer tue.
    Ginny streckt mir die Zunge heraus, nicht zu krank, um frech zu sein, und Sarah fängt an zu weinen, als Mum ihre winzigen Hände von ihrem Hals löst – »Ich weiß, dass es juckt, Liebes, aber Kratzen macht es nur schlimmer« – und sanft die Creme aufträgt. Mum, sage ich, ich muss dir was sagen, oder vielleicht sage ich es auch gar nicht, weil es ist, als könnte sie mich nicht hören. Sie sorgt sich weiterhin um die Zwillinge, schmiert mehr dieser Salbe auf Sarahs Ausschlag, erklärt Ginny, dass sie ihren Saft trinken soll.
    Aber ich muss ihr von dem Streit erzählen, muss ihr erzählen, wie Madigan tatsächlich so wütend geworden ist, dass sie mich geschlagen hat, als ich ihr berichtet hatte, dass ich an Ostern nicht mit ihnen nach Portsea fahren kann. Dad sagt, ich solle bei meiner Familie sein, auf demselben langweiligen Campingausflug am See, aber wenn Mum mit ihm redet, ändert er seine Meinung vielleicht und lässt mich stattdessen mit den Sargoods fahren.
    Als würde meine Familie mich vermissen. Dad wünscht sich einfach nur, er könnte nach Portsea, darauf wette ich, und ich sage wieder: »Mum«, diesmal lauter. »Mum, hör mal, kannst du …«
    »Nicht jetzt, Alex!« Sie blafft es, ohne sich auch nur die Mühe zu machen, mich anzusehen. Sie ist vollkommen mit meinen Schwestern beschäftigt, und ich wette, wenn ich auch die Masern bekäme, wäre es ihr vollkommen egal. Ich wette, sie …
    Es ist schwer, die Erinnerung von dem Gefühl der Erinnerung zu trennen. Mein zehnjähriges Ich ist so selbstzentriert, dass es nicht mal bemerken kann, dass Tränen in den Augen meiner Mutter schwimmen und ihre Unterlippe zittert. Aber ich sehe es, und das trifft mich ins Herz.
    Weil ich mich nicht daran erinnern kann, dass Mum je geweint hätte, außer am Ende von schnulzigen Filmen oder das eine Mal, als ich vom Fahrrad gefallen war und mir den Kopf aufgeschlagen

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