Ysobel – Das Herz aus Diamant
menschliche Ware an Bord nimmt, in der kommenden Nacht erwartet wird. Sicher hat er seinen Überfall darauf abgestimmt!«
»Das dürfen wir nicht zulassen!«, wisperte Ysobel, und er spürte, wie sie an seinem Wams zerrte, als könnte sie sich so seine Zustimmung zu diesem verheerenden Unternehmen verschaffen. »Hört Ihr? Die Menschen an dieser Küste haben sich immer auf die Herren der Burg verlassen können! Gratien hat sich an ihnen versündigt, aber ich werde nicht zulassen, dass dies auch weiterhin geschieht!«
»Arme kleine Närrin«, raunte Jos. »Wie stellst du dir das vor? Diese Burg wimmelt vor Söldnern. Soll ich sie alle auf meinen Dolch spießen?«
Ysobel kämpfte unwillig gegen eine Umarmung und gegen seinen schändlichen Versuch, die Sache ins Lächerliche zu ziehen.
»Das ist kein Scherz!«, fauchte sie und musste sich zwingen, die Stimme nicht zu heben. »Wenn Ihr zu feige seid, mir zu helfen, dann werde ich es alleine tun!«
»Was um Himmels willen hast du vor?« Jos fragte und ahnte doch bereits, was sie antworten würde.
»Wenn es Gefangene gibt, dann werden sie mit Sicherheit in den alten Verliesen untergebracht. Geschäfte dieser Art werden nicht bei Tag, sondern bei Nacht getätigt. Bis zur Dunkelheit sind die Leute also vorerst in Sicherheit. Dann müssen wir schnell handeln. Es gibt niemanden mehr, der das Labyrinth der alten Kerker so gut kennt wie ich. Jetzt ... nachdem der Seigneur tot ist ...«
Ysobel biss sich auf die Unterlippe und versuchte den Schmerz zu bändigen, der sie zu überwältigen drohte. Sie sollte für ihren Bruder beten, das wusste sie, aber plötzlich fielen ihr die Worte dafür nicht mehr ein. Was für ein Gott war das, der soviel Böses zuließ?
Jos de Comper tat einen heimlichen Fluch. Verdammter Gratien de Locronan! Was hatte er mit dem Mädchen getan, dass es sich berufen fühlte, seine Pflichten auf sich zu nehmen? Pflichten, die er eh nie erfüllt hatte. Jos presste Ysobel mit aller Kraft an sich und versuchte nachzudenken. Wenn er ihr nicht beistand, würde sie sich bedenkenlos opfern, und das durfte er nicht zulassen!
»Ich nehme an, du wirst es auf eigene Faust versuchen, wenn ich mich weigere, dir zu helfen«, erwiderte er. »Du lässt mir keine Wahl. Aber wir können die Nacht unmöglich in diesem Versteck abwarten. Ein falscher Laut, eine falsche Bewegung, und wir sind entdeckt.«
Ysobel nickte. Er hatte recht, dies war ein Ort, um der Herrin dieses Hauses zu entwischen, wie sie es oft genug getan hatte, aber sie konnten hier kaum den Tag verbringen.
»Zum Henker, schafft mir die Schreckschraube aus den Augen! Welcher Idiot hat ihr erlaubt, hier einfach herumzuspazieren?«
Paskal Cocherel verspürte keine Lust, sich das Gejammere Thildas anzuhören. Er bedachte sie mit einem mürrischen Blick. Sie war nicht einmal ansehnlich genug, dass er Lust verspürte, sie ein wenig zu piesacken. Ihresgleichen kannte er zur Genüge. Kleinlich und borniert, bis zur Dummheit stolz auf das edle Blut, das in ihren dünnen Adern floß. Weiber wie sie machten sich hinter seinem Rücken über ihn lustig.
Die Dame versuchte, sowohl das Klatschen seiner Peitsche als auch die Drohung in seinem Raubvogelblick zu ignorieren. Doch in ihrer Schulter pochte der Schmerz und mahnte zur Vorsicht. Sie musste ihre Karten geschickt ausspielen, wenn sie Erfolg haben wollte.
Der Herzog von St. Cado lümmelte in Gratiens gepolstertem Stuhl und trank seinen teuren Malvasier. Die sonst so ordentliche Halle glich einem Heerlager und roch abscheulich nach Blut und vergossenem Wein. Dame Thilda gelang es gerade noch, nicht die Nase darüber zu rümpfen.
»Ich bin gekommen, Euch ein Geschäft vorzuschlagen«, sagte sie ruhig und mit fester Stimme.
»Ein Geschäft?« Cocherel brach in brüllendes Gelächter aus. Er glaubte zu ahnen, womit sie handeln wollte.
»Denkt Ihr im Ernst, es würde mich verlocken, eine so knochige, hässliche alte Dirne wie Euch zu besitzen? Ich bin Besseres gewöhnt, liebe Dame!«
Dame Thilda wollte sich nicht anmerken lassen, dass seine Gehässigkeiten sie verletzten, aber das Funkeln ihrer Augen und die hektischen rötlichen Flecke auf ihren Wangen verrieten sie.
»Immerhin habt Ihr einen leidlich klugen Kopf auf Euren dürren Schultern«, fuhr der Söldnerführer boshaft fort. »Und nun packt Euch davon. Auf dem Sklavenmarkt von Tunis werden Sie Euch die Flausen schon austreiben! Sicher findet sich irgendwo ein perverser alter Bey, der sich die
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