Yvonne Lindsay
fragen, ob er sie nicht zum Abschlussball begleiten wolle. Zu ihrer Überraschung hatte er zugestimmt, und als er sie an dem Abend abholte, war sie wahnsinnig aufgeregt gewesen. Nicht nur, dass er sehr attraktiv aussah mit dem zurückgekämmten blonden Haar, das ihn älter erscheinen ließ. Sie war auch davon überzeugt, er würde nun endlich erkennen, dass sie kein Mädchen mehr war, sondern eine erwachsene Frau. Und dass nicht nur sie ihn, sondern auch er sie liebte.
Wie naiv sie doch gewesen war! Bei der Erinnerung daran zog Rachel kurz die Mundwinkel nach unten. Sicher, er hatte erkannt, dass sie kein Kind mehr war. Er hatte ihr sogar erlaubt, mit ihm zu flirten und ihn dann zu verführen. Und als er sie umarmte und ihr auf dem Rücksitz des Wagens die Jungfräulichkeit nahm, da war sie selig. Denn sie glaubte, nun würde er für immer ihr gehören.
Doch als die lodernde Leidenschaft abgeflaut war, da sah sie sich plötzlich einem Fremden gegenüber. Ohne sie anzusehen, hatte er erst seine eigenen Sachen und dann ihre Kleidung gerichtet. Und als sie ihm wieder die Arme um den Hals legen wollte, hatte er sie von sich weggeschoben.
Stattdessen hatte er sich für das entschuldigt, was er ihr angetan hatte. Es würde nie wieder vorkommen, hatte er gesagt und damit all ihre Hoffnungen zerstört. Erst jetzt wurde ihr klar, dass er sich ihrer nur angenommen hatte, weil ihr eigentlicher Partner sie sitzen gelassen hatte, er also aus Mitleid mitgekommen war wie ein älterer Bruder. Dass er mit ihr geschlafen hatte, hatte er sicher nicht geplant, aber sie hatte es ja auch darauf angelegt.
Wieder seufzte Rachel leise. Am nächsten Tag würde sie sich darum kümmern, dass die Sachen abgeholt wurden. Vielleicht konnten sie dann alle ein wenig ruhiger schlafen.
Am Fuß der Treppe stand Matt und hielt einen Plastikbeutel in der Hand. „Du hattest recht. Da war eine Haarbürste im Handschuhfach. Ich schicke sie morgen gleich nach Sydney.“
„Gut, dann ist das ja erledigt. Die Lasagne ist auch gleich fertig. Wo möchtest du denn essen?“
„Da Blake nicht da ist, werde ich die Ruhe nutzen und noch ein bisschen arbeiten. Kannst du mir den Teller in die Bibliothek bringen?“
„Ja, natürlich.“ Dann wollte er also wieder allein sein. Ohne ihn anzusehen, ging Rachel in die Küche. Hoffentlich kam ihre Mutter bald zurück. Dann konnte sie endlich dieses Haus verlassen. Allmählich hatte sie genug von seinen Zurückweisungen.
Sie hatte schließlich auch ihren Stolz.
10. KAPITEL
Als Matt langsam den Hörer auflegte, schwirrte ihm der Kopf. Kims Worte dröhnten ihm noch immer in den Ohren. Es gab keinen Zweifel mehr.
Marise war die Tochter von Howard Blackstone gewesen.
Doch zu Matts eigener Überraschung milderte dieses Wissen nicht seinen Zorn, den er Marise und Howard gegenüber empfand. Denn wenn Marise schon vor dem Flugzeugabsturz gewusst hatte, dass Howard ihr Vater war, dann hätte sie Matt doch einfach anrufen und es ihm erzählen können. Warum also hatte sie das nicht getan? Weil sie sich von ihm scheiden lassen und ihm den Sohn wegnehmen wollte, was ihr mit der finanziellen Unterstützung der Blackstones möglicherweise auch gelungen wäre. Verbittert lachte Matt auf. Was für ein Triumph wäre das für Howard gewesen.
Aber mit dem Testergebnis waren die Probleme noch nicht aus der Welt geräumt. Kim und ihre Brüder hatten vorgeschlagen, Marise exhumieren und in dem Familiengrab der Blackstones in Rockwood beisetzen zu lassen.
Zuerst wollte er ablehnen, aber dann fiel ihm ein, wie sehr Marise immer Pomp und Prunk geliebt hatte. Sicher würde sie viel lieber in dem prächtigen Familiengrab der Blackstones begraben sein.
Der Blackstones … Es war schon eine bittere Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet er eine Blackstone geheiratet hatte. Die ihm, ohne zu zögern, das Kind genommen hätte.
Er lehnte sich zurück. Ganz wichtig war, dass er möglichst bald Briana anrief und ihr die Neuigkeit mitteilte. Aber wie sollte er ihr beibringen, dass ihre Mutter den Vater betrogen hatte? Dass die Schwester, mit der sie zusammen aufgewachsen war, die sie geliebt und gehasst hatte, wie das unter Geschwistern so üblich ist, nur ihre Halbschwester war?
Ein paar Mal atmete Matt tief durch, dann raffte er sich auf. Es half nichts, es musste sein. Nachdem es viermal geklingelt hatte, nahm Briana ab. „Hallo?“
„Briana, ich bin es, Matt. Es gibt etwas, das ich dir unbedingt erzählen muss. Es geht um
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