Zaduks Schädel
in den engen Straßen. Faulig, an manchen Stellen auch nach Kot und Erbrochenem. Kein Regen spülte die staubtrockenen Gassen leer. Die Gewitter, die hatten kommen sollen, waren irgendwo über der Weite des Landes hängengeblieben.
Yves sah aus wie immer. Ein wenig erinnerte er an den großen Yves Montand. Auch Balzac trug - da konnte es noch so heiß sein — seine Schiebermütze, und er verzichtete auch nie auf sein Jackett, ein graues Stück Stoff, das im Sommer angeblich kühlen und im Winter wärmen sollte. Darunter war er mit einem blauen Stehkragenhemd bekleidet, das locker über seiner Hose flatterte, die ebenfalls bessere Zeiten gesehen hatte und deren Taschen ausgebeult waren wie Halbkugeln. Wenn Yves unterwegs war und gesehen wurde, zollte man ihm großen Respekt.
Ob Männer, Frauen oder Kinder, wer ihn sah, der nickte ihm zu. Da wurde gegrüßt. Zumeist wurde der Gruß noch von einem herzlichen Lächeln begleitet, und besonders für die Kinder hatte der Mann mit dem faltenreichen, sonnenbraunen Gesicht stets freundliche Worte parat. Seine Augen verschwanden fast in den schmalen Schlitzen. Im Gegensatz dazu fiel die wuchtige Nase auf, die bei ihm tatsächlich wie ein Erker aus dem Gesicht schaute.
Eine Frau kam auf ihn zu. Sie drückte ihm frisches Obst in die Hand.
»Ich habe es selbst geschenkt bekommen. Es sind Pfirsiche aus dem Süden, du wirst sie mögen.«
Yves bedankte sich mit einem Kuß auf die Wangen der Frau. Beim Weitergehen aß er die Pfirsiche und konnte, nachdem er in eine schmale, etwas ansteigend verlaufene Gasse eingebogen war, bereits das Bistro von Max sehen, das einen guten Standort besaß, denn er hatte es um eine Ecke gebaut.
Im Haus selbst lebten zahlreiche Menschen. Da waren die Wohnungen verändert worden, um mehr Platz zu schaffen. Asylanten hielten sich dort ebenso auf wie Schwarze, die keine Arbeit fanden. Der kleine Lebensmittelladen gegenüber gehörte ebenfalls zum Viertel. Dort verkaufte Madame Sestakis, eine Griechin, all die Dinge, die die Fremden aus ihrer Heimat kannten. Ihr Mann war dabei, Nachschub von seinem Lastwagen abzuladen. Zwei Neger halfen ihm dabei. Sie würden ein paar Francs dafür bekommen.
Wegen der unerträglichen Temperaturen stand die Tür offen. Musikfetzen drangen auf die Straße. Schwarzafrikanische Soulklänge, die drei dunkelhäutige Jugendliche zum Tanz animierten. Sie führten ihn auf der Straße auf, beobachtet von den Gästen, die vor dem Bistro standen und ihre Getränke schlürften.
»Bonjour Yves, hallo Yves…« So und ähnlich wurde der Ankömmling begrüßt. Es war bekannt, daß er eine Versammlung abhalten wollte, und alle waren sie schon da, saßen, standen oder hockten im Bistro und hielten sich auch an der langen Holztheke auf, hinter der Max und sein jüngerer Freund aus Tunesien standen und alle Hände voll zu tun hatten. Kami lebte mit Max zusammen. Er war ein schmalhüftiger Typ, stets in ein modisches Schwarz gekleidet, mit ebenfalls schwarzen Haaren, die zwar nach hinten gekämmt waren, aber ein welliges Eockenmuster aufwiesen.
Max, der Graubärtige mit den muskelstarken und tätowierten Armen, goß Rotwein in ein Glas, das andere dem Ankömmling reichten, der einen halben Schritt vor der Tür stehenblieb, das Glas hob und es zur Hälfte leerte. Damit spülte er sich den Staub aus der Kehle, der sich dort regelrecht festgebacken hatte.
Sie hatten ihm seinen Platz freigehalten. Nur wenn Yves es ausdrücklich erlaubte, durfte sich dort jemand anderer hinsetzen. Es war der runde Tisch in der Ecke. Ein Metallstuhl stand dort, und Yves ließ sich nieder. Sofort verließ Max seinen Platz hinter der Theke. An seinem linken Ohrring schaukelte ein breiter Ring aus Gold.
»Was möchtest du noch?«
»Nichts mehr, nur einen Schluck Wein.«
»Kein Essen?«
»Nein, ich bekam unterwegs Pfirsiche aus dem Süden. Sie waren sehr gut und haben mich satt gemacht.«
»Also den Roten?«
»Oui.«
Max legte seine Hand auf Yves' Schulter. »Und wie geht es dir sonst, mon ami?«
Yves grinste. »Jetzt gut. Ich freue mich, daß ich bei dir bin und daß alle hier sind, die ich erwartet habe.«
»Merci.« Max drehte sich um und winkte Rami, dem Tunesier, zu. Der wußte Bescheid und brachte die Rotweinflasche, die von einem Geflecht aus Korb umwickelt wurde.
Der Platz war insofern noch günstig, daß die Sonne ihn erst am späten Nachmittag erreichte. So hockte Yves im Schatten und in der schlechten, rauch-und gerüchegeschwängerten
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