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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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waren sich
    ständig einig , lachten gegenseitig über ihre schlappen Witze und berieten sich gemeinsam, wie man schwierige Situationen am besten anging.
    Genauso , wie sie darauf bestanden hatten, dass sie zu einem Therapeuten ging, als sie sie mit Teddy erwischt hatten, dachte Kim und unterdrückte ein Stöhnen. Nicht dass das Herumprobieren mit Sex
    gleichbedeutend mit einer Geisteskrankheit wäre, hatten sie hastig
    erklärt. Es war nur natürlich, dass Teenager sexuelle Erfahrungen
    machten, hatten sie betont und auf keinen Fall zu streng oder kritisch wirken wollen. Doch im Licht ihres Verhaltens in jüngster Zeit sowie angesichts der kürzlich erfolgten Trennung und Versöhnung ihrer
    Eltern, von Matties Zustand ganz zu schweigen, habe Kim doch
    offensichtlich eine Menge zu verarbeiten. Sie brauchte jemanden, mit dem sie reden konnte, der ihr helfen konnte, ihre Gefühle in dieser schwierigen Phase ihres Lebens zu sortieren.
    Was gab es da zu reden?, fragte Kim sich und schwieg störrisch fast
    durch die gesamte erste Sitzung mit ihrer Therapeutin. Teddy hatte sie seit jenem Abend und seinem überhasteten Abgang aus ihrem Zimmer
    nicht einmal angerufen. Wenn sie sich in der Schule trafen, wich er ihr aus. Und natürlich hatte die ganze Schule gehört, was passiert war, wie das Kondom abgerutscht war, wie sie gekreischt hatte, er solle es
    rausholen, und wie ihre Mutter hereingeplatzt war, als sie eingeschlafen waren, wie er seine Kleider gegriffen hatte und um sein Leben gerannt war. Entjungfert und verlassen, dachte Kim mit einem stillen Glucksen.
    Ein denkwürdiges erstes Mal.
    »Wie hast du dich gefühlt, als du deine Mutter da stehen sahst?«,
    fragte Rosemary Colicos Kim bei ihrer ersten Sitzung. Kim dachte nur , dass die Frau auf eine beinahe aggressive Art unattraktiv war.
    »Verlegen« , antwortete Kim widerwillig. »Wütend.«
    »Erleichtert?« , fragte Rosemary.
    Dumme Frage. Warum sollte sie erleichtert sein , dass ihre Mutter sie mit Teddy Cranston im Bett erwischt hatte? Und doch schien die Frage , je mehr Sitzungen Kim mit der mittelalten Frau hatte , deren strähniges blondes Haar aussah , als wäre es direkt an eine Steckdose angeschlossen worden, immer weniger dumm.
    Das ging mit fast allen Fragen so, die Rosemary stellte: »Was glaubst du, hat dich bewegen, unter dem Dach deiner Eltern mit Teddy zu
    schlafen?« »Bist du wütend auf deine Mutter , weil sie krank ist?« »Was würdest du verlieren, wenn du deinem Vater verzeihen würdest?«
    »Lust.« »Natürlich nicht.« »Nichts«, lauteten Kims spontane
    Antworten. Aber natürlich hatte Rosemary sie im Verlauf der
    vergangenen sechs Wochen subtil dazu genötigt , ihre Antworten zu überdenken. Vielleicht hatte sie tatsächlich insgeheim gehofft , erwischt zu werden , als sie Teddy eingeladen hatte. Und wenn sie nicht wütend auf ihre Mutter war , warum ärgerte sie dann in letzter Zeit alles , was ihre Mutter sagte und tat? Und was sie aufgeben würde , wenn sie es irgendwie schaffen könnte, ihrem Vater zu verzeihen , konnte Kim in einem Wort zusammenfassen – Macht.
    »Und wie kommt es , dass wir zu Grandma Viv fahren?«, fragte Kim, mit einem vorsätzlich provokanten Unterton. »Ich dachte , du besuchst sie nicht gerne.«
    »Es ist lange her« , gab Mattie zu.
    »Und warum jetzt? Was ist der besondere Anlass?« Kim sah , wie ihre Mutter die Schultern versteifte, und den starren Ausdruck in den Augen ihres Vaters im Rückspiegel, und sie begriff plötzlich, dass sie ihrer Großmutter von Matties Zustand erzählen wollten. Sie wollten ihrer Großmutter erzählen, dass ihre Tochter starb. »Mir ist schlecht« , rief Kim plötzlich. »Halt an. Ich glaube, ich muss mich übergeben.«
    Sofort hielt ihr Vater am Straßenrand , Kim stieß die Tür auf , sprang aus dem Auto und ging mitten auf dem Bürgersteig in die Hocke. Ihr
    schmaler Körper wurde von trockenem Würgen geschüttelt. Sie spürte,
    wie ihre Mutter sich neben sie hockte und schützend ihren Arm um ihre Schultern legte. »Tief atmen, mein Schatz«, ermunterte sie sie und strich ihr das Haar aus dem Gesicht. »Tief atmen.« Würde sich ihre Mutter so fühlen?, fragte Kim sich und rang nach Luft. Fühlte es sich so an zu ersticken?
    Es war nicht das erste Mal, dass so etwas passierte. Neulich war sie in der Schule auf dem Weg in die Kantine davon überrascht worden. Diese schreckliche Kurzatmigkeit , die Luft , die ihr buchstäblich im Mund gefror , als ob ein großer Brocken Eis

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