Zähl nicht die Stunden
Es wäre so leicht, dachte Jake. Die Tür abschließen , seiner Sekretärin erklären , dass er von niemandem gestört werden wollte. Weder von seinen
Partnern noch von seinen Mandanten, noch von seiner Frau. Seine Frau, dachte Jake, während Honeys Zunge sich zwischen seine geöffneten Lippen drängte. Konnte er Mattie das wirklich antun? War es nicht
schon schlimm genug, dass er sein Versprechen wegen ihrer Paris-Reise brechen musste? Musste er auch noch ihr Herz brechen?
Mein Gott, Mattie, ich hatte nie die Absicht, dir wehzutun.
Deine Absichten sind mir scheißegal! Ich will deine Leidenschaft. Ich will deine Loyalität. Ich will deine Liebe.
Wie sollte sie es je erfahren?, dachte Jake und küsste die Tränen aus Honeys Augenwinkeln , bevor er ihre Umarmung löste , als ihn plötzlich Matties Augen aus Honeys Gesicht ansahen.
Er begriff , dass Mattie es trotzdem wissen würde. So wie sie es immer wusste.
»Ich kann nicht«, sagte er und ließ hilflos die Arme sinken.
»Jason, bitte –«
»Ich kann nicht. Verzeih mir.«
Honey sagte nichts, nur ihre Unterlippe bebte, während ihr Blick
rastlos durch den Raum huschte.
Jake beugte sich vor und vergrub sein Gesicht in Honeys weichen
roten Locken , die sich so anders anfühlten als Matties Haar , das feiner und samtiger war. Der unverkennbare Geruch von abgestandenem
Zigarettenrauch stieg ihm in die Nase. »Ich dachte, du hättest das
Rauchen aufgegeben«, sagte er leise.
»Man kann sich schließlich nicht alles auf einmal abgewöhnen«,
erklärte Honey ihm, halb schluchzend, halb resigniert. »Außerdem habe ich einen Bericht gelesen. Man hat zweihundert Leute ausgewählt, von denen hundert geraucht haben und hundert nicht. Und rate mal, was? Sie sind alle gestorben.«
Jake lächelte. Er freute sich tatsächlich, sie zu sehen. Er hatte sie wirklich vermisst.
»Apropos sterben, wie geht’s Mattie?« Honey stockte, schloss die Augen und fuhr sich frustriert mit der Hand durchs Haar. »Ich kann nicht glauben , dass ich das gesagt habe. Bitte verzeih mir , Jason. Es tut mir schrecklich Leid. Mein Gott, das war furchtbar. Wie konnte ich so etwas Schreckliches sagen?«
»Das ist schon okay«, versuchte Jake sie zu beruhigen, obwohl seine Gedanken rasten. Wie konnte sie etwas so Gefühlloses sagen? »Ich weiß, dass du es nicht so gemeint hast.«
»Wirklich?«
»Natürlich.«
»Gut. Denn ich bin mir«, fügte Honey hinzu, während erneut Tränen
in ihren großen braunen Augen schimmerten , »ehrlich gesagt nicht mehr so sicher.«
»Was?«
»Ich habe Angst , Jason. Irgendetwas Schreckliches passiert mit mir.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Ich auch nicht. Deswegen habe ich ja Angst.«
»Ist mit dir alles in Ordnung?«
»Das hat nichts mit meiner Gesundheit zu tun«, fauchte Honey.
»Nicht jeder leidet unter einer tödlichen Krankheit, Jason. Mein Gott, jetzt fange ich schon wieder an. Ich verwandele mich in eine Art
Monster.«
»Du bist kein Monster.«
»Nicht? Was bin ich denn? Ich sitze die ganze Zeit da und warte, dass ein Mensch stirbt , ich bete, dass er stirbt.«
Jake sagte nichts. Was konnte er sagen?
»Hast du eine Ahnung, wie es ist, jeden Abend mit der Hoffnung
einzuschlafen, dass du am nächsten Morgen anrufst , um mir zu erzählen, dass Mattie tot ist? Mein Gott, manchmal hasse ich mich selber dafür.«
»Es tut mir wirklich Leid.«
»Ich habe solche Angst, dich zu verlieren.«
»Du wirst mich nicht verlieren« , sagte Jake , überrascht, wie wenig überzeugend das selbst in seinen eigenen Ohren klang. »Ich bin schon dabei , dich zu verlieren.« Honey ging zurück zu Jakes Schreibtisch und nahm die Paris-Prospekte in die Hand. »April in Paris. Was für eine wunderbar romantische Idee. Wann wolltest du mir davon erzählen?
Oder wolltest du mir bloß eine Postkarte schicken?«
»Es war nur so eine Idee. Im Moment sieht es so aus , als würden wir doch nicht fahren.«
Honey ließ die Prospekte wieder auf den Schreibtisch fallen. »Ich bin eifersüchtig, Jason. Ich bin tatsächlich eifersüchtig auf eine Sterbende.«
»Es gibt keinen Grund, eifersüchtig zu sein. Du weißt, warum ich
nach Hause zurückgegangen bin. Du warst einverstanden.«
»Ich war damit einverstanden, mich im Hintergrund zu halten. Ich
war nie damit einverstanden zu verschwinden.« Sie schüttelte ihren
Kopf, dass ihre roten Locken hin und her flogen. »Ich glaube nicht, dass ich das noch länger aushalte.«
»Bitte, Honey. Wir müssen nur noch
Weitere Kostenlose Bücher