Zähl nicht die Stunden
vielleicht erinnern , die Abkürzung von –«
»Student Nonviolent Coordinating Committee ist , ja ich erinnere mich sehr gut. Ich war damals vierzehn Jahre alt. Und Sie waren höchstens ein hübscher Gedanke Ihres Vaters.«
Den er sich sehr schnell aus dem Kopf geschlagen hat, als er uns
verließ , dachte Mattie. »Ich bin zufällig 1962 geboren« , sagte sie. Doch ja , er flirtete mit ihr , eindeutig.
»Das heißt , Sie sind –«
»Etwa doppelt so alt wie Ihre derzeitige Freundin.« Mattie wies mit einer schnellen Bewegung zu der ersten Serie von Fotografien. »Also , was meinen Sie? Ist etwas dabei , das Ihnen besonders gefällt?«
Roy Crawford lachte. »Vieles« , antwortete er , den Blick nicht auf die Fotografie gerichtet , sondern auf Mattie.
»Flirten Sie mit mir?« , fragte Mattie mit einer Direktheit, die sie beide überraschte.
»Ich glaube, ja.« Roy Crawford lächelte wieder auf diese jungenhafte Art.
»Ich bin eine verheiratete Frau.« Mattie tippte auf den schmalen
goldenen Trauring an ihrer linken Hand.
»Und was wollen Sie damit sagen?«
Mattie war sich bewusst, dass dieses Spiel sie mehr amüsierte, als es sich gehörte. »Roy« , sagte sie , um einen ernsten Ton bemüht , der nicht ganz überzeugend klang , »Sie sind jetzt seit wie vielen Jahren mein Klient
– fünf oder sechs?«
»Länger jedenfalls , als meine zwei letzten Ehen gehalten haben« , sagte er.
»Und in dieser Zeit habe ich für die künstlerische Ausstattung Ihrer diversen Häuser und Büroräume gesorgt.«
»Sie haben Kunst und Kultur in mein primitives Dasein gebracht«,
erklärte Crawford galant.
»Und in der ganzen Zeit haben Sie nie einen Annäherungsversuch
gemacht.«
»Hm, ja, das stimmt wohl.«
»Warum also jetzt?«
Crawford schien verwirrt. Er zog die buschigen Augenbrauen
zusammen, die im Gegensatz zu seinem grauen Haar noch ganz dunkel
waren.
»Was hat sich verändert?«, hakte Mattie nach.
»Sie.«
»Ich habe mich verändert?«
»Ja. Irgendwas an Ihnen ist anders«, behauptete Crawford.
»Sie glauben wohl, nur weil ich vorhin etwas daneben war, wäre ich
eventuell leichte Beute?«
»Ich hoffe es.«
Mattie lachte schallend. Das Lachen erschreckte sie, und sie erstickte es hastig. Na prächtig, dachte sie, jetzt habe ich schon vor meinem eigenen Lachen Angst. »Ich denke, wir haben uns für heute genug
Fotografien angesehen.«
»Mittagessen?«
Mattie drehte an ihrem Trauring, bis die Haut an der Stelle zu
schmerzen begann. Es wäre so einfach, dachte sie. Was zerbrach sie sich den Kopf? Ihr Mann betrog sie doch auch. Und ihre Ehe war ohnehin
vorbei.
Oder nicht?
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir das Mittagessen auf
einen anderen Tag verschieben?« Sie senkte wie in Hilflosigkeit die Hände.
Worauf Crawford seinerseits die Hände hochwarf , als beruhte die eine Geste auf der anderen. »Ganz wie Sie wollen«, sagte er leichthin.
»Ich mache es wieder gut«, versprach Mattie ein paar Minuten später
und winkte ihm zum Abschied, als sie die Treppe vor dem Gebäude
hinunter eilte.
»Ich verlasse mich darauf«, rief er ihr nach.
Das war besonders schlau, dachte Mattie, als sie in ihren Wagen stieg, der auf dem Parkplatz hinter dem Museum stand. Und professionell.
Sehr professionell. Wahrscheinlich würde sie nie wieder von Roy
Crawford hören, aber noch während ihr der Gedanke durch den Kopf
ging, wurde er von einem Bild verdrängt: Sie selbst sich nackt und in herausfordernder Haltung auf einem Stuhl rekelnd, und das schwarz
gekleidete Bein Roy Crawfords, das sich listig ins Bild stahl. »Mein Gott, du bist echt krank«, sagte Mattie laut und verbannte die beunruhigende Vorstellung mit einem energischen Kopfschütteln aus ihren Gedanken.
Sie drückte dem Parkwächter ihren Parkschein in die Hand, und der
Mann winkte sie zur Straße hinaus. Gleich an der ersten Kreuzung bog sie rechts ab, danach links, ohne sonderlich darauf zu achten , wohin sie fuhr , noch in Gedanken damit beschäftigt, was sie mit dem Rest des Tages anfangen sollte. Eine Frau ohne Plan, sagte sie sich, während sie darüber nachdachte, was sie zu Jake sagen würde, wenn er nach Hause
kam – falls er überhaupt nach Hause kam. Vielleicht sollte sie einmal zum Psychiater gehen, einen Fachmann aufsuchen, der ihr helfen
könnte, mit ihren Frustrationen und ihrer ganzen aufgestauten
Feindseligkeit umzugehen, bevor es zu spät war. Aber es war ja schon zu spät. Ihre Ehe war vorbei. »Meine Ehe
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