Zähl nicht die Stunden
»Sie haben weiter berichtet, dass Ihre Frau plötzlich sehr ruhig wurde und Sie bat, eine Neonröhre in der
Küche auszuwechseln.«
»Ja.« Butler atmete auf, sichtlich erleichtert über den Themawechsel.
»Wie hat sie ausgesehen?«
»Wie bitte?«
»Ihre Frau. Ihre Ex-Frau«, korrigierte sich Jake mit einem neuerlichen Lächeln zu einigen der älteren Frauen unter den Geschworenen. »Wie
würden Sie ihr Verhalten beschreiben?«
Butler zuckte die Achseln , als hätte er nie groß darüber nachgedacht , wie er die Frau beschreiben würde , mit der er länger als dreißig Jahre verheiratet gewesen war. »Sie ist einfach nur sehr still geworden«, sagte er schließlich. »Und die Augen wurden irgendwie glasig.«
»Glasig? Sie meinen, als hätte sie sich in einer Art Trance befunden?«
»Einspruch!« , rief Eileen Rogers. »Mr. Hart legt dem ZeugenWorte in den Mund.«
»Im Gegenteil, ich suche lediglich Klärung der Tatsachen.«
»Abgelehnt.«
»Schien also Nora Butler sich in einer Art Trancezustand zu
befinden?«, wiederholte Jake.
Butler wand sich. Er hüstelte, brummte, rieb sich die Hände. »Ja«, gab er schließlich zu.
»Und nachdem sie auf Sie geschossen hatte, wie wirkte sie da?«
»Genauso.«
»Als befände sie sich in einer Art Trance« , wiederholte Jake ein drittes Mal.
»Ja.«
»Wie hat sie reagiert , als Sie sie baten , neun-eins-neun anzurufen?«
»Sie hat angerufen.«
»Ohne Widerrede?«
»Ja.«
»Wie , würden Sie sagen , hat sie sich bewegt? Flott?Schwerfällig? Ist sie zum Telefon gerannt?«
»Sie hat sich langsam bewegt.«
»Als befände sie sich in einer Art Trance?«
»Ja« , bestätigte Butler.
»Keine weiteren Fragen«, sagte Jake, und der Richter entließ den
Zeugen.
Jake beobachtete Butler, als dieser schnell und leicht vorgebeugt, als wollte er sich kleiner machen, als er war, zu seinem Platz neben der Staatsanwältin ging. Eins zu null für die Guten, dachte er und stahl wieder einen Blick in den Zuschauerraum , weil er hoffte, vielleicht ein beifälliges Lächeln seiner Tochter aufzufangen. Aber der Platz, auf dem Kim gesessen hatte, war leer. Er hörte gedämpfte Bewegung hinter sich und drehte sich gerade rechtzeitig um, um zu sehen, wie sie durch die hohe Tür am Ende des Saals hinausschlüpfte.
15
»Na , was meinst du? Wie war’s?«
Kim zog kurz die Schultern hoch und ließ sie wieder fallen, während
sie sich in der schmuddeligen Kaschemme an der Ecke California
Avenue und 28th Street umsah. Ihr Vater hatte sich bereits mehrmals dafür entschuldigt, dass es in dieser Gegend kein einziges anständiges Restaurant gab, und viel zu oft versichert , dass man bei Fredo dafür einen Spitzenhamburger bekäme.
»Ich esse kein Fleisch« , war ihr einziger Kommentar.
»Wieso isst du kein Fleisch?«
»Weil es abstoßend und grausam und ungesund ist.«
»Du isst doch Hühnchen.«
»Ich esse kein r o tes Fleisch. Bin ich hier vielleicht im Verhör?«
»Nein , natürlich nicht. Es hat mich nur interessiert. Ich hatte keine Ahnung , dass du kein rotes Fleisch isst.«
Kim zog nur ein desinteressiertes Gesicht. Es gibt massenhaft Dinge, von denen du keine Ahnung hast, dachte sie und überlegte , wie sie darum herumkommen könnte, sich nach dem Mittagessen noch einmal
in den Gerichtssaal zu setzen.
Dann fragte er, was sie von der morgendlichen Veranstaltung
gehalten habe, aber Kim wusste genau, dass er in Wirklichkeit nur hören wollte , was sie von seiner Vorstellung hielt.
»War ganz okay.« Nochmals zuckte sie mit den Achseln , die
Bewegung nicht ganz so nachdrücklich und ausgeprägt wie die zuvor.
»Nur okay?«
»Was willst du denn hören?« , fragte sie. »Es würde mich einfach interessieren, wie du es gefunden hast.«
»Ich fand’s ganz okay.« Diesmal machte sich Kim nicht einmal die
Mühe eines Achselzuckens. »Können wir jetzt bestellen?«
Jake winkte dem Kellner, der mit gezücktem Block an ihren Tisch
rechts vom belagerten Tresen trat.
»Haben Sie Thai Geflügelsalat?«, fragte Kim, die keinen Blick in die Speisekarte geworfen hatte.
Der Kellner, dessen welliges Haar so dunkel war wie seine Haut, sah
sie verständnislos an. »Wir haben Geflügelsalat-Sandwiches«, antwortete er mit starkem spanischen Akzent.
»Ich will aber kein Geflügelsalat-Sandwich«, entgegnete Kim bockig.
»Da sind immer Riesenladungen Mayonnaise drauf. Genauso gut könnte
man ein Pfund Butter verdrücken.«
»Also, ich finde, das Geflügelsalat-Sandwich
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