Zaehme mich
Ende der Woche waren die Male auf seinem Hals und Gesicht verblichen, aber er sah um zehn Jahre gealtert aus. Die Anstrengung war ihm deutlich anzumerken: Ringe unter den Augen, Gräben auf der Stirn und tief hängende Schultern. Sein körperlicher Verfall ermutigte sie. Ohne ihre Berührung ging er zugrunde.
Dann, am Samstagabend, kam er überhaupt nicht mehr nach Hause. Sarah saß die ganze Nacht wach und behielt die Tür im Auge. Abwechselnd wählte sie seine Nummer und redete sich ein, dass er jeden Moment auftauchen musste. Im Geiste sah sie ihn bewusstlos im Rinnstein, zu Tode gequetscht nach einem Unfall, ausgeraubt und zusammengeschlagen, in den Armen einer anderen, die seiner Frau ähnelte, gestreichelt von einer Prostituierten mit übergroßen Brüsten und ohne Schneidezähne, allein auf einer Parkbank, wimmernd auf dem Boden seines Büros, in einer Gefängniszelle, mit dem Gesicht nach unten im Hafen treibend, ausgelöscht.
Um neun Uhr am Sonntagmorgen drehte sich sein Schlüssel im Schloss, und er wankte in die Wohnung. Er lehnte sich an den Türrahmen, zerrte mühsam seine Brieftasche aus dem Jackett, ließ seine Schlüssel fallen, schlug sich den Kopf an, fluchte und rülpste. In Sarah verflüssigte sich alles, und sie ertrank in ihren Gefühlen.
Mit verknittertem Gesicht blickte er auf, als sie auf ihn zurannte, und seine Beine knickten ein. Er sackte in der Ecke zwischen dem Türrahmen und dem Flurtischchen zusammen. Sarah stürzte sich auf ihn, und als er versuchte, sie wegzustoßen, schlug sie mit den Fäusten auf ihn ein und riss ihm die Haare büschelweise aus. Schluchzend bat er sie, ihn in Ruhe zu lassen, doch sie krallte ihm mit den Fingernägeln über die Wangen, die Nase und das Kinn.
Sie spuckte ihm ins Auge, und als er sich nicht mehr wehrte, packte sie seine fallen gelassenen Schlüssel und bohrte sie ihm ins Gesicht. Ihr Schädel wurde zu einer Waffe, die gegen sein Jochbein und seine Nase schmetterte.
Durch seine Tränen wurde es einfacher. Sein nasses Gesicht gab ein befriedigendes Platsch von sich, wenn sie ihn ohrfeigte. Ihre Arme taten weh, ihr Blick verschwamm, sie hatte Blut an den Händen und im Mund. Sie prügelte weiter.
Sie bekam Angst, dass sie ihn vielleicht umbringen würde, aber sie konnte nicht aufhören. In der letzten Woche war sie zu einem Gletscher erstarrt, und jetzt zerschmolz sie in ein Eismeer. Ihre Ellbogen ersetzten ihre zerschundenen Hände und knüppelten ihm frisches Blut aus der Nase. Sie drosch mit dem ganzen Körper nach ihm. Seine Augen waren halb offen und beobachteten sie. Sie kam sich vor, als würde sie sich selbst beobachten. Als würde sie beobachten, wie ihre knochigen Ellbogen die Entfernung zwischen ihnen durchflogen und auf seinem Gesicht landeten. Sie hörte sich kreischen. Sie hatte solche Angst. Sie konnte einfach nicht aufhören. Sie riss ihm das blutige Hemd auf und rammte ihm die Schlüssel in den Magen, so fest sie konnte. Er regte sich nicht. Sarah fand die Kraft, noch stärker zu stoßen. Ihre Bizepsmuskeln zuckten wie bei einem Fixer auf Entzug. Als sie sich auf ihre Hand konzentrierte, bemerkte sie, dass sie sich an seinem Wochenendbart die Knöchel wund gescheuert hatte.
In der Körperlichkeit liegt Aufrichtigkeit. Am Körper eines Mannes hatte Sarah schon immer die Wahrheit über ihn erkannt. Der blasse Streifen am Ringfinger verriet den untreuen Ehemann. Der Arbeiter, der sich als Börsenmakler ausgab, konnte weder seine sonnengebräunten Schultern noch seine schwieligen Hände verbergen. Der Typ, der mit seinem Hang zum Extremsport geprahlt hatte, brachte sie zum Lachen, wenn sie später seinen schlaffen Hintern berührte und seine lilienweiße Haut im Mondlicht sah. Und wie viele Männer behaupteten, dass ihnen ihr Äußeres nicht wichtig war, nur um ihr dann im Schlafzimmer mächtige Armmuskeln und einen straffen Waschbrettbauch vorzuführen? Die Wahrheit zeigt sich an der Oberfläche.
Im Ausdruck von Körperlichkeit, im Zerreißen von Haut und in der Vermischung von Flüssigkeiten liegt Aufrichtigkeit. Sarah hatte schon längst gewusst, was sich Daniel nie offen hatte eingestehen können. Sie wusste es, seit er sich auf und in ihren unreifen Körper gedrängt hatte.
Während er die ganze Zeit Rechtfertigungen und Erklärungen und Ausreden ausgespuckt hatte, hatte seine wahre Natur ihr Fleisch zu Brei geklopft. Und jetzt zeigte sie ihm mit Zähnen und Klauen, dass sie gleich waren. Dass sie eins waren.
Seine Hand
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