Zaehme mich
Haar und landete sanft auf seiner Schulter. Sie hustete, und nach einem erneuten Seufzer fuhr sie fort. »Ich war nie das zerbrechliche Wesen, für das du mich immer gehalten hast. Ich habe dich geliebt, weil du auf mich aufgepasst hast, aber ich habe mich auch immer …
eingeengt gefühlt. Ich hatte schon immer diesen Drang, an die Grenzen zu gehen. An meine Grenzen. Und wenn ich am Abgrund angekommen war, hast du mich immer aufgehalten. Daniel hält mich nicht auf. Er fesselt mich an Händen und Füßen und wirft mich hinaus ins Leere.«
»Ach.« Jamie fragte sich, ob er irgendwie begriffsstutzig war. Wie konnte das, was sie ihm gerade erzählt hatte, ein Kompliment sein – für Jamie oder Daniel? Bei ihr klang es doch so, als hätte sie nur die Wahl zwischen einem Kindermädchen und einem Psychopathen. Und abgesehen davon, wenn sie den Psychopathen liebte und der Psychopath sie liebte, warum zum Teufel musste sie sich dann bei dem Kindermädchen ausheulen? Warum war sie nicht bei dem Psychopathen und ließ sich von ihm Nägel durch die Hände hauen oder so was in der Richtung?
»Stimmt es, dass du ausgeflippt bist, nachdem ich weg war?«
Ausgeflippt – so konnte man es ausdrücken. Man konnte aber auch sagen, dass er seinen Lebenswillen verloren hatte, und zwar komplett. Aber wenn er Sarah das jetzt erzählte, würde sie sich nur schlecht fühlen. »Ich war ziemlich verstört.«
»Ich hatte keine Ahnung davon, Jamie. Es tut mir ja so Leid.«
Der Schmerz in seiner Brust flammte wieder auf.
»Sarah, du hast doch gewusst, dass ich dich liebe. Das habe ich dir immer wieder gesagt.«
»Ich dachte, du meinst, dass du gern mit mir zusammen bist und gern mit mir vögelst und dass du nicht willst, dass ich mit anderen Typen zusammen bin und mit ihnen vögle.
So hab ich das verstanden, wenn du gesagt hast, du liebst mich. Ich hab nicht gewusst … ich hatte keine Ahnung, wie schwer es ist, wenn man den ganzen Tag mit dem Gefühl herumläuft, dass einem der halbe Körper fehlt.«
»Und, ähm … jetzt verstehst du also, was Liebe ist …
wegen ihm ?«
Sarah fing wieder an, Jamies Haar zu streicheln, aber er fand es nicht mehr tröstlich. Es fühlte sich an, als würde sie es nur machen, um sich selbst zu beruhigen, so wie manche Leute an Sorgenperlen herumfummelten oder sich die Nägel abkauten. So wie er die Hände zusammenpresste. Noch nie hatte er das Gefühl gehabt, so von ihr getrennt zu sein. Zum ersten Mal, seit sie sein Büro betreten hatte, beschlich ihn der Verdacht, dass ihre Abwesenheit mehr als nur ein kleiner Aussetzer in ihrer Beziehung gewesen war. Irgendetwas war zu Bruch gegangen, und ihre bloße Anwesenheit hier und die Berührung ihrer Haut reichten nicht mehr aus, um es wieder heil zu machen.
»Was ich an der Liebe nie verstanden hatte, ist, dass sie nicht gestillt werden kann wie die Lust. Wenn man dem Ruf der Liebe folgt, wenn man ihr nachgibt, wird sie immer schlimmer. Je mehr man sie spürt, je tiefer man vordringt, desto mehr braucht man.« Sarahs Stimme brach, und sie hielt inne, um die Tränen wegzublinzeln. »Wenn Daniel nicht bei mir ist, habe ich das quälende Bedürfnis, mit ihm zu sprechen. Also rufe ich ihn an, und wenn ich dann seine Stimme höre, muss ich ihn sehen. Wenn ich ihn sehe, muss ich ihn berühren. Dann berühre ich ihn, und es reicht nicht, also schlafen wir miteinander. Aber was gibt es danach noch? Denn es reicht noch immer nicht. Es ist weniger als nichts, mit ihm im Bett zu sein. Ich habe trotzdem das Gefühl zu verhungern.«
Jamie sprang auf und packte sie an den Schultern.
»Sarah, du verhungerst wirklich! Du machst mir richtig Angst. Du musst der Realität ins Auge schauen, sonst krepierst du.«
Sie deutete ein Lächeln an. Ganz gelassen, als hätte sie begriffen. Als wäre sie seiner Meinung und hätte sich längst damit abgefunden. Sie lächelte auf diese resignierte Art und redete mit einer Stimme, die ganz rau war von zu viel Rauchen und Alkohol, von zu wenig Wasser und Schlaf. »Wir haben es ja probiert. Für kurze Zeit war alles ganz normal. Das heißt, nicht normal, wie es früher bei mir war, sondern normal wie bei dir und Shelley. Wir haben Familie gespielt und gelebt, als würden wir zur übrigen Welt gehören. Aber wenn wir zusammen sind, passiert etwas. Es ist wie … Synergie. Da fließt einfach zu viel Energie, zu viel Strom. Ich kann dir nicht einmal erklären, wie es sich anfühlt, wenn man jemanden so sehr liebt.«
Jamie hatte noch nie
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