Zaertlich ist die Nacht
darauf kehrte er mit Sherry für alle zurück.
»Mit euch habe ich zum ersten Mal etwas getrunken«, sagte Rosemary und fügte mit einem Schuss Begeisterung hinzu: »Ach, ich bin so froh, bei euch zu sein und zu sehen, dass es euch gut geht. Ich habe mir Sorgen gemacht –« Ihr Satz brach ab, als sie die Richtung änderte und sich an Dick wandte: »Ich dachte, es ginge dir vielleicht nicht so gut.«
»Hast du etwa gehört, dass ich mich im allmählichen Zerfall befinde?«
»Oh, nein. Ich habe einfach nur – ich habe gehört, dass du dich verändert hättest. Und ich freue mich, mit meinen eigenen Augen zu sehen, dass es nicht wahr ist.«
»Es ist aber wahr«, sagte Dick und setzte sich zu ihnen. »Die Veränderung hat schon vor langer Zeit begonnen, aber am Anfang war sie noch nicht zu sehen. Die Manieren bleiben noch eine Weile intakt, auch wenn die Moral längst hinüber ist.«
»Praktizierst du hier an der Riviera?«, fragte Rosemary hastig.
»Es wäre ein gutes Revier, um interessante Patienten zu finden.« Er nickte in Richtung der Leute, die auf dem goldenen Sand herumwuselten. »Hervorragende Kandidaten. |433| Sieh dir zum Beispiel unsere alte Freundin Mrs Abrams an, die für unsere Königin Mary North jetzt die Herzogin spielt. Du brauchst nicht eifersüchtig deswegen zu werden – denk dran, wie mühselig der lange Weg auf der Hintertreppe des Ritz ist, den Mrs Abrams auf Händen und Füßen zurücklegen muss, und wie schmutzig der Teppichstaub, den sie dabei einatmet.«
Rosemary unterbrach ihn. »Ist das nicht Mary North?« Sie betrachtete eine Frau, die in ihre Richtung geschlendert kam und ein Gefolge hinter sich herzog, das sich benahm, als ob es gewohnt wäre, dass man es anstarrte. Als sie noch drei Meter entfernt waren, flackerten Marys Augen kurz über die Divers hin. Es war einer jener fatalen Blicke, die den Betroffenen zwar zeigen, dass man sie gesehen hat, dass man sie aber zu ignorieren gedenkt. Weder die Divers noch Rosemary Hoyt hatten sich jemals erlaubt, irgendjemandem so einen Blick zuzuwerfen.
Als sie Rosemary erkannte, änderte Mary allerdings ihre Meinung, wie Dick mit Belustigung feststellte. Sie kam doch noch herüber, grüßte Nicole mit einer gewissen Herzlichkeit, nickte Dick aber so abweisend zu, als hätte er etwas Ansteckendes – was dieser mit einer ironischen Verbeugung beantwortete – und stürzte sich dann auf die Schauspielerin.
»Ich habe schon gehört, dass Sie da sind. Bleiben Sie länger?«
»Nur bis morgen«, erwiderte Rosemary.
Sie hatte durchaus bemerkt, wie sich Mary gegenüber den Divers verhalten hatte, und fühlte sich zu einer gewissen Kühle verpflichtet. Nein, sie könne nicht zum Abendessen kommen.
Mary wandte sich an Nicole, ihre Haltung sollte offenbar |434| eine Mischung aus Zuneigung und Mitleid ausdrücken. »Wie geht es den Kindern?«
Genau in diesem Augenblick kamen Lanier und Topsy auch schon angerannt. Nicole sollte eine Entscheidung der Gouvernante hinsichtlich des Schwimmens im Meer außer Kraft setzen.
»Nein«, sagte Dick an Nicoles Stelle. »Was Mademoiselle sagt, das gilt.«
Nicole stimmte ihm zu. Auch sie wollte die delegierte Autorität des Kindermädchens nicht untergraben. Woraufhin Mary, die nicht in der Lage gewesen wäre, auch nur einen französischen Pudel so weit zu erziehen, dass er stubenrein wurde, und sich wie eine Anita-Loos-Heldin 3* immer nur mit
faits accomplis
auseinanderzusetzen gewohnt war, Dick mit einem Blick bedachte, als ob er ein übler Tyrann wäre.
Er ärgerte sich über den Auftritt und fragte: »Wie geht es denn deinen Kindern – und ihren Tanten?«
Mary gab keine Antwort, sondern zog sich zurück, nicht ohne zuvor noch Lanier voller Mitgefühl über den widerwilligen Scheitel gestreichelt zu haben. Als sie weg war, sagte Dick: »Wenn ich daran denke, wie viel Zeit ich damit verbracht habe, an ihr zu arbeiten.«
»Ich mag sie«, sagte Nicole.
Dicks Bitterkeit hatte Rosemary überrascht, denn sie hatte ihn als jemanden in Erinnerung, der für alles Verständnis hatte und alles verzieh. Plötzlich fiel ihr wieder ein, was sie über ihn gehört hatte. Bei der Überfahrt aus Amerika hatte sie sich mit Leuten vom State Department unterhalten, die so weit europäisiert waren, dass man sie kaum für Angehörige einer Großmacht, sondern eher für Bürger eines Balkanstaates gehalten hätte. Der Name der allbekannten Baby |435| Warren war aufgetaucht, und man erwähnte, dass deren
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