Zaertliche Brandung - Roman
gefahren hatte, weil ihre Nichte schwer verletzt worden war und weil ihre Schwester jetzt unglücklich war. Willamina Kent hatte die letzten fünf Jahre ebenso verkrüppelt verbracht wie ihre Nichte.
Ein schlechtes Gewissen konnte lähmend wirken. Und von allen Ungeheuern, die es zu bezwingen galt, war es vermutlich das schwierigste.
Dies hatte Abram Sinclair genau gewusst, als er sein Testament verfasste und beschloss, Willa drei edle Ritter zu ihrer Rettung zu schicken. Er sah seine Brüder an, die die Frau anstarrten, die sie in nur drei Tagen lieb gewonnen hatten. Die kleine Wachtel aus Maine hatte sich in ihren Herzen eingenistet, arglos und unabsichtlich, jedoch mit Schwierigkeiten aller Art befrachtet.
Kein Wunder, dass Bram lächelte. Der Alte hatte gewusst, sein letzter Wille würde sie so in Rage bringen, dass sie keine Zeit haben würden, ihn zu betrauern.
In nur drei Monaten würde alles vorbei sein. Dann würde Sam seine Braut an Brams Grab führen – an dem man vermutlich den alten Fuchs schallend lachen hören würde, wenn man gut hinhörte.
7
O ffensichtlich nicht gewillt, etwas dem Zufall zu überlassen, hatte Abram Sinclair seine eigene
Grabrede verfasst. Sie war lapidar und anmaßend wie der Mann selbst. Spencer las sie am offenen Grab einer Trauergemeinde von beeindruckender Größe vor.
Einige der hier Anwesenden haben auf diesen Tag gewartet, andere wiederum haben ihn gefürchtet. Ich bin zwar tot, werde aber nicht in Vergessenheit geraten, soviel kann ich versprechen. Keiner soll um mich weinen. Ich bin jetzt bei meiner Rose. Und bei meinen Söhnen. Hoffentlich.
Ich hatte ein gutes Leben und genoss es die meiste Zeit. Ich erlebte die Liebe einer guten Frau und die Freude, meine drei Enkelsöhne zu Männern heranwachsen zu sehen. Ihr sollt wissen, dass ich euch im Auge behalte, Jungs, also enttäuscht mich nicht. Nehmt das Imperium, das ich schuf, und verdreifacht es. Und sucht euch Ehefrauen, ihr Spitzbuben. Setzt jede Menge Kinder in die Welt und erzählt ihnen von mir.
Und seht zu, dass ihr nur Gutes über mich berichtet.
Lächelt für mich. Lacht, wenn ihr wollt. Denn dies werde auch ich tun.
Und Willamina? Mädchen, benutze deinen Verstand. Ich habe dich schon auf den richtigen Weg gelenkt; nimm mein Geschenk in dem Geist an, in dem ich es gab.
Lebt wohl. Euch allen viel Glück.
Willa seufzte, als Spencers Stimme sich verlor. Ach, wie sehr hatte sie Abram Sinclair lieb gewonnen. In Gestalt eines weißhaarigen, exzentrischen alten Mannes hatte das Schicksal sie schließlich eingeholt.
Während Abrams kryptische Worte noch über dem stimmungsvollen kleinen Friedhof zu schweben schienen, setzten sich die Trauergäste in einer langsamen Prozession zum Haus in Bewegung. Sie wollte nicht zurück in das imponierende Arbeitszimmer und Spencer zuhören, wenn er das Testament vorlas. Aber der Anwalt hatte ungeachtet ihrer Proteste auf ihrer Anwesenheit bestanden.
Sie wollte zurück in ihr sicheres und einfaches Leben, wollte die letzten eineinhalb Monate und die Hoffnungen und Träume, die Abram Sinclair trotz ihres Widerstandes heraufbeschworen hatte, hinter sich lassen.
Willa wurde plötzlich klar, dass sie mit Jesse, Ben und Sam allein war. Die Brüder wirkten steif und sahen sie mit angespannten Mienen an.
»Würden Sie das für mich auf seinen Sarg legen?«, fragte sie Jesse und hielt ihm eine Rose hin.
Er legte sie auf die Rose, die Abram ins Holz geschnitzt hatte, und gemeinsam gingen sie schweigend zurück zum Haus.
Nun folgten noch mehrere Stunden Beileidsbezeigungen und Händeschütteln. Willa hörte Bemerkungen über Abrams Sarg, seine Grabrede und über Rosebriar. Spekulationen über die Zukunft wurden im Flüsterton angestellt. Man war sich anscheinend einig, dass Tidewater International unter den drei Enkeln aufgeteilt werden würde. Einig war man sich auch, dass eine Ära zu Ende gegangen war.
Trotz aller Anstrengungen verging der Nachmittag viel zu rasch. Willa hatte das Gefühl, schon nach wenigen Minuten auf einem der vier Stühle zu sitzen, die Spencer im Arbeitszimmer vor einem Fernsehgerät aufgereiht hatte. Das Personal, entfernte Angehörige und sogar einige Verwaltungsratsmitglieder von Tidewater saßen oder standen herum. Ben, Jesse und Sam saßen neben ihr.
Es war klar, dass sie Abram Sinclair ein letztes Mal lebendig und in Farbe auf einem Videofilm sehen würden. Genau das, was sie brauchte … Abrams Stimme, vermutlich mit einer Predigt. Sie
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