Zaertliche Eroberung im Herrenhaus
kann die Schlafzimmer oben noch gar nicht bewohnen. Charlie und ich schlafen im ehemaligen Salon. Ich habe den Raum ein bisschen sauber gemacht, Staub und Spinnweben entfernt und Gardinen aufgehängt. Dort ist auch ein Kamin, den wir notfalls im Winter benutzen können. Eine Zentralheizung gibt es in diesem Haus ja leider nicht.“
Jarrett deckte Charlie mit einer bunten Häkeldecke zu und sah Sophia dann aufmerksam an. „Bitte nehmen Sie mir die Frage nicht übel, aber war Ihnen klar, worauf Sie sich einlassen, als Sie dieses Haus gekauft haben?“
Sophia legte ihre Strohtasche auf einen antiken Sessel, verschränkte die Arme und hob ein wenig trotzig das Kinn. „Gekauft? Ich habe es nicht gekauft. Sehe ich vielleicht aus wie jemand, der sich so etwas leisten kann?“
„Keine Ahnung. Wie sieht denn jemand aus, der sich so etwas leisten kann?“ Jarrett zuckte die Schultern. „Wenn Sie es also nicht gekauft haben, wie kommt es dann, dass Sie hier wohnen?“ Er hoffte inständig, sie werde ihm darauf eine Antwort geben.
Tief in Gedanken zog Sophia sich die beiden roten Haargummis aus dem Haar und löste ihre Zöpfe. Allein bei diesem Anblick wurde Jarretts Mund trocken. Sie sah genau aus, wie er es sich vorgestellt hatte: wie auf einem präraffaelitischen Gemälde.
„Meine Großtante hat es mir vermacht, Mary Wingham.“
Damit hatte er nicht gerechnet – unter anderem deshalb, weil er sicher war, Sophia nie in der Gegend gesehen zu haben. „Haben Sie Ihre Großtante früher oft besucht?“
„Nein“, gestand sie bedrückt. „Das letzte Mal war ich mit etwa zwölf Jahren hier.“
„Und trotzdem hat sie Ihnen das Haus hinterlassen“, sagte Jarrett nachdenklich. „Sie muss Sie sehr gerngehabt haben.“
„Na ja … eigentlich sagte mein Dad immer, sie wäre nicht sonderlich gut auf unsere Familie zu sprechen. Ich glaube allerdings, dass sie eine Schwäche für ihn hatte“, erzählte Sophia. „Das letzte Mal habe ich Großtante Mary bei seiner Beerdigung gesehen, und da wirkte sie ziemlich aufgewühlt. Um ehrlich zu sein, ich verstehe auch nicht, warum sie mir High Ridge Hall vererbt hat – obwohl ich ihr natürlich sehr dankbar bin.“
„Aber …“, begann er, doch sie fiel ihm ins Wort.
„Ich bin ziemlich müde und finde auch, dass ich für heute genug Fragen beantwortet habe.“
Zu gern hätte er noch mehr erfahren, doch ihr entschlossener Gesichtsausdruck machte deutlich, dass Jarrett sich lieber zurückhalten sollte. Es war doch schon viel, dass Sophia, die ja offensichtlich ein sehr zurückhaltender Mensch war, ihm erlaubt hatte, ein wenig Zeit mit ihr und ihrem Sohn zu verbringen.
4. KAPITEL
Sophia ermahnte sich, dass sie ihrem Gast aus Höflichkeit zumindest einen Tee anbieten musste, nachdem er so nett gewesen war, mit ihr und Charlie einen Ausflug ans Meer zu machen. Also verdrängte sie das unbehagliche Gefühl, das sie bei seinen Fragen beschlichen hatte, und führte ihn in die geräumige Küche. Mit ihren stumpf gewordenen Terrakottafliesen und den hohen, vorhanglosen Fenstern, durch die man in den verwilderten Garten blickte, wirkte diese allerdings nicht sonderlich einladend.
Da es schon dunkel wurde, schaltete Sophia das Licht an. Doch die einzelne nackte Glühbirne über dem Holztisch von undefinierbarer heller Farbe sorgte erst recht nicht für Gemütlichkeit.
„Wie trinken Sie Ihren Tee?“, wandte sie sich an Jarrett und zuckte innerlich zusammen, als sie sah, dass dieser sich aufmerksam und interessiert umblickte. Im Vergleich zu der ultramodernen Einbauküche seiner Schwester konnte sie, Sophia, nur verlieren. Es sei denn, er hatte eine Vorliebe für verfallende alte Gebäude, die dringend von Grund auf restauriert werden mussten.
„Am liebsten stark und ohne Zucker, danke“, antwortete Jarrett. „Was für eine tolle Küche, ideal für Großfamilien. Und wunderschön!“
„Zumindest könnte sie das werden“, stimmte Sophia zu. „Ich will sie natürlich renovieren, wie auch alle übrigen Zimmer, aber ich kann es mir nicht leisten, alles auf einmal anzugehen. Es wird viel Zeit und Geld notwendig sein, um diesem Haus gerecht zu werden. Meine Tante wurde zum Ende ihres Lebens recht gebrechlich und konnte sich nicht mehr wie früher um das Anwesen kümmern. In meiner Kindheit hat es immer sehr vornehm und herrschaftlich auf mich gewirkt. Wie ein Palast. Und der Garten glich dem Zauberreich einer Märchenprinzessin.“
„Das sind aber schöne Erinnerungen.“
Weitere Kostenlose Bücher