Zärtliche Wildnis
wütende Knurren, das durch die Schlafzimmertür drang, von dem Boxer kommen mußte, den Adam ihr geschenkt hatte. Aber sie sah ja wie ein Kind aus; sie hatte nichts gemein mit der frustrierten, alten Jungfer, die er sich vorgestellt hatte. Als sie mit dem widerlichen Gebräu zurückkehrte, sagte er mit Mühe: »Ich hätte mich erst einmal vorstellen sollen. Mein Name ist Oldfield. Ich bin der Nachbar von Adam Wilcox, der Ihnen diesen gräßlichen Hund angedreht hat. Sie brauchen ihn übrigens nicht eingesperrt zu lassen. Er kennt mich und wird mich nicht angreifen.«
»Ach, das ist gut. Er zerkaut nämlich meine Schuhe, wenn ich ihn einsperre«, erwiderte Liz und ging zur Tür, um den Hund herauszulassen.
Pirate stürmte angriffslustig ins Zimmer, erkannte Oldfield und wollte sogleich freudig an ihm hochspringen, bevor Liz ihn wegziehen konnte.
Der Fremde trank pflichtschuldigst seinen Tee und machte keinen Versuch zu sprechen, sondern beobachtete aufmerksam seine Gastgeberin. Sie wirkte recht absonderlich in dem umfangreichen Morgenmantel aus rotem Flanell, der sie von Kopf bis Fuß umhüllte. Liz liebte aus unerfindlichen Gründen diesen Morgenrock und hatte keine Ahnung, wie sonderbar sie darin aussah. Sonderbar, aber irgendwie ansprechend, dachte er, und machte sich flüchtig Gedanken darüber, warum sie wohl so ganz allein hier in diesem gottverlassenen Dorf lebte. Sie sah wie ein Kind aus in dem häßlichen Kleidungsstück, und ihr kleines Gesicht war ernsthaft und bekümmert.
Als er seinen Tee getrunken hatte, sagte sie mit Bestimmtheit: »So, und jetzt bleiben Sie hier ganz ruhig liegen, während ich zum Laden gehe, um einen Arzt oder die Sanitäter anzurufen.«
»Kommt nicht in Frage«, brummte er mißmutig. »Ich bin doch kein Invalide.«
Sie lächelte ihn mit der aufreizenden Nachsicht an, die eine Mutter ihrem aufsässigen Kind angedeihen läßt.
»Schön, also dann ein Taxi. Aber zuerst muß ich mich anziehen.«
Plötzlich setzte er sich auf dem Sofa auf. »Sie werden keinesfalls ganz allein ins Dorf fahren. Ich komme mit.«
»O nein«, versetzte sie gelassen, »Sie kommen nicht mit. Außerdem fahre ich sowieso nicht. Mein Wagen steht bei Ted in der Werkstatt. Ich werde zu Fuß gehen, und mit dem Knöchel schaffen Sie den Marsch nie.«
»Sie sind ja verrückt geworden«, schrie er fast. »Sie können doch nicht mitten in der Nacht allein auf der Straße herumspazieren, wo dieser Sträfling sich hier herumtreibt. Das ist zu gefährlich. Das kommt nicht in Frage.«
Sie stellte fest, daß nun auch der letzte Rest von ihrer Schüchternheit verflogen war. Dieser Mann versuchte, sie auf höchst unerfreuliche Weise herumzukommandieren, doch er war krank, und sie würde geduldig bleiben.
»Natürlich kann ich gehen. Was sollte ein Mann schon mit einem einsamen Mädchen wollen?«
Er sagte nichts, sondern verzog nur grimmig das Gesicht.
»Er wird doch höchstens ein Auto wollen«, fuhr sie fort, »und mir wird gar nichts passieren.«
»Sie können nicht alleine gehen. Der Kerl treibt sich hier in der Nähe herum. Ich hatte das Radio an, bevor ich den Unfall baute, und der Sprecher sagte, der Gangster hätte in Southville einen Wagen gestohlen, und man nähme an, er halte sich an die Nebenstraßen. — Habe ich Ihnen übrigens schon gesagt, wie es zu dem Unfall kam?«
»Nein«, entgegnete Liz gereizt. »Aber ich vermute, Sie waren auf einer Party.«
Einen Moment lang war sie entsetzt über ihre schnippische Bemerkung, doch er brach zu ihrer Erleichterung in Lachen aus.
»Das werden alle sagen, aber es ist nicht wahr. Im Gegenteil, ich war gerade von der Hauptstraße abgebogen und wollte nach Hause fahren. Ich hatte keinen Tropfen getrunken. Zu dem Unfall kam es, weil sich mitten auf der Straße, gleich hinter der scharfen, unübersichtlichen Kurve, eine verdammte Kuh niedergelassen hatte. Ich war schon fast auf sie draufgefahren, bevor ich sie sah. Ich riß den Wagen herum, und er landete im Graben und überschlug sich.«
»Ach, du liebe Zeit. Ist der armen Kuh etwas passiert?«
Er funkelte sie zornig an.
»Ah, Sie gehören auch zu diesen sentimentalen Tiernarren. Nein, die arme, liebe Kuh stand seelenruhig auf und trottete davon. Aber ich brauchte eine halbe Stunde, um aus dem Wagen herauszukriechen und zu Ihrem Haus zu humpeln. Ich hoffe, Sie sind zufrieden.«
Mit aufreizender Güte erwiderte sie: »Sie müssen große Schmerzen haben, weil Sie so ärgerlich sind. Ich bin froh, daß der Kuh
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