Zärtliche Wildnis
»Weißt du, daß sie mir neulich erzählt hat, sie ginge auf ihre erste Cocktail-Party — bei irgend jemandem in Southville. Stell dir nur vor, ein Mädchen von einundzwanzig, das noch nie auf einer Cocktail-Party war. — Mir persönlich liegt an solchen Festivitäten ja nichts, aber die jungen Mädchen von heute schwirren doch praktisch von einer Cocktail-Party zur anderen.«
Liz erklärte sich zwar bereit mitzugehen, doch sie amüsierte sich nicht besonders auf der Party.
»Nun?« fragte Kay hinterher in leicht anklagendem Ton. »Ich habe den Eindruck, du hast alles ziemlich gelangweilt über dich ergehen lassen.«
Liz machte ein schuldbewußtes Gesicht.
»Hoffentlich habe ich wenigstens so ausgesehen, als machte es mir Freude. Aber ehrlich, Kay, was ist denn so lustig an dem Krach und den Leuten, die herumstehen und sich anschreien, während sie versuchen, in der einen Hand die Zigarette und in der anderen ihr Glas zu halten und gleichzeitig ein Sandwich in den Mund zu stopfen? Ich fand das schrecklich schwierig, und einmal hätte ich statt des Brötchens beinahe meine Zigarette mit dem glühenden Ende in den Mund geschoben.«
Ihre Freundin lachte nachsichtig.
»Ja, es ist schon ein bißchen verwirrend. Am besten pflanzt man sich neben einem Tisch auf, wo man das Glas abstellen kann.«
»Das habe ich getan, aber dann hat es jemand anders leergetrunken. Es hat mir ja nichts ausgemacht, denn ich war froh, daß ich das Zeug loswurde. Du, Kay, glaubst du, daß bei mir etwas nicht stimmt, weil ich mir aus Alkohol überhaupt nichts mache?«
»Ach was, du bist ihn einfach nicht gewöhnt. Das wird sich schon ändern. Aber du hast dich trotz allem ganz tapfer gehalten, und ich bin sicher, daß Mrs. Hunter dich nett fand und dich wieder einladen wird. Hast du übrigens ihren Sohn bemerkt?«
»Den jungen Mann mit dem Adamsapfel und dem lüsternen Blick? Ja, den habe ich wohl bemerkt.«
Sie sagte nicht, daß ihr gar nichts anderes übriggeblieben war, als ihn zu bemerken; Vincent Hunter hatte sich nämlich fast den ganzen Abend wie eine Klette an sie geheftet.
Kay seufzte. »Er ist wirklich ein lustiger Kerl, und für den Adamsapfel kann er nichts. Ich möchte doch wissen, ob du jemals so wirst wie andere Mädchen und auch einmal einen netten, harmlosen Flirt wagst. — Ach, dabei fällt mir ein, Andrew Oldfield wird nächste Woche aus dem Krankenhaus entlassen. Da ich an dem Tag gerade frei habe, dachte ich, wir könnten eine kleine Feier aufziehen. Wir kommen auf einen Drink und eine Tasse Kaffee zu dir, und dann kann sein Freund Adam Wilcox ihn nach Hause bringen.«
Liz wußte, daß sie da nicht gut nein sagen konnte. Mühe würde ihr die »kleine Feier« nicht machen, und da die Geschichte in ihrem Haus begonnen hatte, mochte sie ruhig in ihrem Haus wieder ihren Abschluß finden. Zu ihrer Überraschung war für Kay das Thema aber noch nicht erledigt.
»Kennst du eigentlich Adam Wilcox? Ach ja, natürlich, ich vergaß, daß du den Hund von ihm hast.« Im stillen sagte sie, und diese Gelegenheit hast du nicht beim Schopf gepackt, um die Bekanntschaft ein wenig zu vertiefen. Dann fuhr sie laut fort: »Er ist das ganze Gegenteil von Andrew. Sehr zurückhaltend und still. Natürlich weiß jeder, daß er noch um seine Frau trauert. Aber ich finde, ohne herzlos sein zu wollen, daß fünf Jahre Trauer mehr als genug sind. Es wird höchste Zeit, daß ihn jemand aus seiner Schwermut herausholt.«
Liz warf ihrer Freundin einen scharfen Blick zu. Das, was sie da gesagt hatte, klang ziemlich taktlos. Kay würde doch nicht etwa ihre Verführungskünste an einem Mann ausprobieren, der so wehrlos und traurig war wie Adam Wilcox? Doch Kay begegnete ihrem Blick unverwandt. Dann lachte sie, und es klang beinahe verlegen. Eilig wechselte Liz das Thema.
»Mr. Wilcox sieht gar nicht wie ein Schafzüchter aus«, sagte sie. »Eher wie ein Dichter oder sowas.«
Kays Erwiderung erstaunte sie.
»Ja«, meinte sie, »etwas in der Art. Andrew Oldfield hingegen sieht man auf den ersten Blick an, was er ist — der erfolgreiche Großgrundbesitzer.«
Aus einem Grund, der ihr selbst nicht begreiflich war, erhob Liz daraufhin Einwendungen.
»Ich glaube, da täuschst du dich. Ich glaube nicht, daß er sich anderen — zum Beispiel den Männern aus dem Tal — überlegen fühlt.«
»Das habe ich ja auch nicht behauptet. Ich habe nur gesagt, daß er so ist — und es hat gar keinen Sinn, daß die Mädchen von Southville ihm nachlaufen.
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