Zärtliche Wildnis
schoß, war sie wieder einmal eifrig bemüht, einem anderen Erniedrigung und Enttäuschung zu ersparen, und erklärte wohl zum hundertsten Male, daß sie Ernest und Clive die gleichen Gefühle entgegenbrachte wie jüngeren Brüdern. Am liebsten hätte sie dabei gelacht. Das war eine so abgedroschene alte Phrase, und doch brachte sie sie mit größter Ernsthaftigkeit vor.
Clive nahm sie mit Einsicht auf, und als dieses Thema zwischen den Jungen und Liz abgeschlossen war, nahm das Leben wieder seinen normalen Lauf. Liz mußte sich allerdings mit einer Spur von Enttäuschung, aber auch aufrichtiger Erleichterung eingestehen, daß ihre Gefühle so tief nicht gewesen sein konnten. Verknalltheit, wie Kay gesagt hatte, aber ein wenig enttäuschend war es doch für ein Mädchen, das es genoß, endlich, wie sie es nannte, »normale Erlebnisse« zu haben.
Im großen und ganzen floß das Leben in den gewohnten Bahnen weiter. Oldfield lag immer noch im Krankenhaus, aber Liz hatte ihn nicht wieder besucht. Sie war zwar einmal im Krankenhaus gewesen, um ihre Freundin abzuholen, doch sie konnte sich damit entschuldigen, daß das außerhalb der Besuchszeit war, wenn auch ihr Gewissen ihr sagte und Kay es aussprach, daß sie ruhig für zehn Minuten hätte hineinschlüpfen können. Liz hatte darauf mit Bestimmtheit erwidert, daß sie nicht daraus Kapital schlagen wolle, Kays Freundin zu sein, sie würde ihren Besuch lieber auf eine geeignetere Zeit verschieben — die, wie sie sich entschlossen sagte, niemals kommen würde.
Gleich welcher Art die Abwechslungen waren, die sich boten — und seit Kay wieder in ihr Leben getreten war, gab es deren viele —, Liz ließ es nicht zu, daß irgend etwas sie bei ihrer Arbeit im Kindergarten störte. Der Kindergarten war, wie sie der verärgerten Kay erklärte, ihr Hauptinteresse und der Grund dafür, daß sie überhaupt nach Windythorpe gezogen war. Die Stunden zwischen zehn und halb eins wurden an fünf Tagen der Woche ausnahmslos im Gemeindesaal verbracht. Es machte ihr Freude, sich der Kinder anzunehmen, morgens nach ihnen Ausschau zu halten, sie ankommen zu sehen, mit geröteten Wangen am ersten frostigen Tag, oder ein wenig naß und ausgekühlt, wenn es regnete. Dann brachte sie sie rasch in den warmen Saal. Wie viele Fünf-Cent-Stücke sie in den Heizungszähler werfen mußte, verriet Liz nie auch nur einem Menschen. Wenn die Kinder sich aufgewärmt hatten, stürzten sie sich sogleich mit Freude ins Spiel, lernten mit Vergnügen jeden Tag etwas Neues, spielten Verkleiden, sangen einfache Lieder, spielten mit Bauklötzen oder setzten kleine Puzzlespiele zusammen. Sie waren mit Feuereifer bei der Sache, wenn Liz die Spiele mit ihnen machte, die sie sich ausgedacht hatte. Liz pflegte schon eine halbe Stunde vor Beginn dazusein, um den Saal durchzuheizen und die Spielsachen herauszuholen. Das ganze Geheimnis eines gelungenen Tages bestand darin, wie Liz entdeckt hatte, die Kinder unverzüglich dazu zu ermuntern, sich zu betätigen. Dann blieb keine Zeit für Quengeleien und Petzereien. >Miss Mortimer, Tommy hat mich getreten<; >Miss Mortimer, Jane hat mich vorhin im Auto gezwickt, aber ihre Mutter hat es nicht gesehen.< Es gab auch keine Zeit für Sehnsucht nach der Mutter, wie sie die Kleinen zu Anfang überwältigte. Die Stunden mußten von dem Augenblick, wenn sie die Kinder aus den Mänteln schälte, bis zu dem Moment, wo sie sie erleichtert in die wartenden Autos packte, mit interessanten und fesselnden Dingen angefüllt sein.
Natürlich verlief nicht jeden Tag alles glatt und reibungslos. Es gab Zeiten, da schienen Streitereien und Quengeleien ansteckend zu sein, und Liz mußte ihre ganze Autorität aufbieten, um ihre Schützlinge davon abzuhalten, aufeinander loszugehen. Sie war eine gute Kindergärtnerin, weil sie gesunden Menschenverstand besaß und Humor. Und das merkten die Kinder. Miss Mortimer war keine Schulmeisterin, sie spielte mit ihnen und war selbst mit dem Herzen dabei. Und es stimmte, daß Liz diese zweieinhalb Stunden, abgesehen von gelegentlichen Anfällen von Langeweile oder Müdigkeit, ebenso genoß wie die Kinder. Beinahe so sehr wie die befreiten Mütter zu Hause.
»Und sie amüsiert sich endlich auch ein bißchen«, sagte Jessie Wheeler verteidigend zu Janet, denn sie war sicher, daß Mrs. Cookes Geschichte von den »Vorgängen« auch die Ohren der Mutter erreicht hatte. Zu ihrer Erleichterung war Janet gar nicht pikiert.
»Ja«, meinte sie herzlich.
Weitere Kostenlose Bücher