Zärtlicher Eroberer
schon bald danach zogen sich alle zurück. Man hatte am kommenden Tag, vor dem abendlichen Fest, viel zu erledigen. Valerian machte noch einen kurzen Abstecher in die Bibliothek, um sich ein Buch auszuleihen. Wenig später vernahm er hinter sich auf dem dicken Teppich gedämpfte Schritte. Er brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass es Lucien Canton war. Damit hatte er gerechnet. Der Nachteil von Vollkommenheit war, dass sie meist berechenbar war.
„Ich dachte, Sie und ich sollten uns ein wenig unterhalten, St. Just. Nehmen Sie doch Platz.“ Canton setzte sich und zeigte auf den Sessel ihm gegenüber.
„Sie besitzen eine sehr umfangreiche Sammlung von Büchern“, stellte Valerian unverfänglich fest.
Canton machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich bin nicht erschienen, um mit Ihnen über Belanglosigkeiten zu plaudern. Ich wollte sichergehen, dass Sie wissen, wie die Dinge zwischen mir und Lady Cambourne stehen.“ Seine Augen glitzerten wie harte Edelsteine.
Valerian lehnte die Fingerspitzen aneinander. „Wie Pendennys andeutete, hat sie anstelle Ihrer Schwester die Rolle der Gastgeberin für Sie übernommen“, erwiderte er und verstand Cantons Anspielung bewusst falsch. Wenn der Mann sein Anrecht auf Philippa anmelden wollte, dann sollte er das ohne Umschweife tun. So leicht wollte er es ihm nicht machen.
„Sie ist mehr als nur meine Gastgeberin. Wir haben bereits über die Möglichkeit einer dauerhafteren Verbindung gesprochen. Ich werde ihr einen Heiratsantrag machen und habe allen Grund zu der Annahme, dass sie nicht ablehnen wird.“
„Warum erzählen Sie mir das, einem eigentlich Fremden?“
„Das wissen Sie ganz genau – Sie haben sie nicht einfach aus alter Freundschaft zu Tisch begleitet. Mir war nicht bewusst, dass Ihre frühere Beziehung so … fortgeschritten war. Niemand sieht einen alten Freund so an, wie Sie sie heute Abend angesehen haben.“
„Und zwar?“ Er hatte sich wohl doch auffälliger verhalten, als er geglaubt hatte, aber vielleicht war Canton auch nur besonders scharfsinnig.
„Wie ein Verhungerter ein Festbankett“, erwiderte Canton mit schneidender Stimme.
Valerian zog eine Augenbraue hoch, er war bereit zum Gegenschlag. „Ein besseres Klischee fällt Ihnen nicht ein?“ Er mochte Canton von Minute zu Minute weniger, und das hatte nicht nur etwas mit Eifersucht zu tun. Sein Instinkt sagte ihm, dass Canton in Bezug auf Philippa noch weitergehende Motive hatte. Ein verliebter Mann, der davon ausgehen durfte, dass seine Gefühle erwidert wurden, hätte sich nie genötigt gesehen, seinen Anspruch so vehement zu verteidigen. Cantons nächste Bemerkung bestätigte seinen Verdacht nur noch.
„Ich weiß, dass Sie nicht in den Salon gegangen sind, um sich den Gainsborough anzusehen, als Sie das Esszimmer verließen“, erklärte Canton und bezog sich auf die Ausrede, die Valerian vorgebracht hatte, um Philippa folgen zu können. „Mein Lakai berichtete mir, dass Sie beide sich auf der Veranda aufgehalten haben, in recht intimer Zweisamkeit.“
„Sie spionieren Ihren Gästen nach? Das ist ja sehr bemerkenswert“, gab Valerian trocken zurück. „Ich frage mich, wie die Duchess es wohl finden würde, wenn sie wüsste, dass Sie sie beschatten lassen. Machen Sie das öfter?“ Er stand auf mit dem Buch in der Hand. „Ich habe genug von dieser Unterhaltung. Gute Nacht, Canton.“
Lucien erhob sich ebenfalls. „Ich werde sie bekommen, St. Just. Sie gehört mir. Ich war in all den Jahren, in denen sie trauerte, an ihrer Seite. Sie können nicht einfach nach neunjähriger Abwesenheit in mein Haus stürzen und in nur wenigen Stunden all das zunichte machen, wofür ich viele Jahre gearbeitet habe.“
Valerian blieb an der Tür stehen und umklammerte den Knauf mit eisernem Griff, um seinen Zorn zu zügeln. Er hatte sich gegen Mehemet Ali, den berühmten ägyptischen Flottenkapitän, durchgesetzt; nun würde er sich gewiss nicht von dem eingebildeten Erben eines Viscounts drohen lassen, der seine Größe allein dem Titel seines Vaters zu verdanken hatte. „Sie irren, Canton. Wenn ein heimlicher Kuss und ein Essen mit anderen Gästen ausreichen, die Früchte Ihrer harten Arbeit zunichte zu machen, dann hatten Sie von Anfang an keine Aussicht auf die Ernte.“
Zielstrebig stieg er die Treppe hinauf und setzte in Gedanken die verschiedenen Mosaiksteine zusammen. Er wusste jetzt, warum er Lucien Canton nicht mochte, abgesehen davon, dass er es auf Philippa abgesehen
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