Zärtlicher Eroberer
hatte – der Mann war gefährlich.
Hinter der vollkommenen Fassade verbarg sich ein Charakterzug, der tödliche Auswirkungen haben konnte. Männern wie Canton war er in seiner Auslandszeit auf den höchsten Ebenen der Geheimdienste und Diplomatie begegnet; in diese Positionen waren sie gelangt wegen ihrer Gerissenheit und ihrer Bauernschläue. Für diese Männer war das Erreichen ihres Ziels alles. Nichts war ihnen zu heilig, um nicht geopfert werden zu können. Da gab es etwas, das Lucien Canton haben wollte, und Philippa war das entscheidende Bindeglied auf dem Weg dorthin. Valerian vermutete, dass Lucien bereit war, noch viel mehr zu tun als zu heiraten, nur um das Ersehnte zu bekommen.
Der Mann hatte keinerlei liebevolle Zuneigung gezeigt, sondern sich eher wie ein Mensch verhalten, der einen wertvollen Schatz besitzt und diesen durch Wachen und Zäune zu beschützen gedenkt. Valerian brauchte keine großen Vermutungen anzustellen – auch wenn er nur wenig über die Höhe von Cambournes Hinterlassenschaft wusste –, um zu dem Schluss zu gelangen, dass Canton ein Auge auf einen bestimmten Teil ihres Eigentums geworfen hatte.
Beldon hatte ihn in der Kutsche gefragt, ob er an glückliche Zufälle glaubte. Das tat er nicht. Er hatte die dunklen Seiten der Diplomatie nicht durch reines Glück überlebt. Er hatte überlebt, weil er daran glaubte, dass der Mensch Einfluss auf sein eigenes Geschick hatte. So wie es aussah, glaubte Lucien Canton das auch. Das machte ihn umso mehr zu einer Bedrohung.
Valerian fragte sich, ob Philippa wusste, dass Canton nicht sie liebte, sondern vielmehr ihren Besitz. Wenn nicht, dann musste er sie unbedingt darauf aufmerksam machen, indem er ihr die Tiefe seiner eigenen Gefühle vor Augen führte. Es hatte ganz den Anschein, dass er Silvester nun doch nicht in Roseland Hall feiern würde.
31. Dezember
Die Tänzer wirbelten um Valerian herum in Wolken aus Samt und Seide. Das fünfköpfige Orchester auf dem kleinen Balkon – eigens für solche Zwecke über dem Ballsaal entworfen – spielte einen übermütigen Tanz. Die Gäste waren bester Laune, da Mitternacht allmählich näherrückte. Philippa hatte als Gastgeberin ganze Arbeit geleistet und dafür gesorgt, dass niemand ohne Tanzpartner war. Vom unscheinbaren Mädchen bis zur älteren Dame, niemand wurde übersehen.
Valerian und Beldon hatten ihren Teil zum Erfolg beigetragen. Sie tanzten ebenfalls mit den älteren Damen, und die einheimischen Mauerblümchen wurden becirct, bis sie förmlich aufblühten. Den größten Teil des Abends hatte Valerian jedoch damit verbracht, aufmerksam zuzuhören. Wie dachten die Leute in Cornwall heutzutage? Was war die Lebensader der kornischen Wirtschaft? Worin sahen die Leute ihre Zukunft? Letztlich lief immer wieder alles auf den Bergbau hinaus.
Das war nicht überraschend. Bergbau war in dieser Region schon seit Jahrhunderten ein Schwerpunkt. Valerians eigene Familie besaß Minenanteile, die der Grundstock für das Familienvermögen waren. Wie er wusste, hatte der Duke of Cambourne nicht nur sehr viel in Zinn- und Kupferminen investiert, sondern auch in damit verbundene Geschäftszweige wie Schmelzereien, Hochofenbauteile und Förderanlagen.
Was Valerian allerdings überraschte, war die wachsende Konkurrenz. Noch hatte der Bergbau nicht den Höhepunkt erreicht, aber die Grundsteine für künftige Weiterentwicklungen wurden bereits jetzt gelegt. Der Bergbau war zu einem blühenden Industriezweig geworden, in dem im Gegensatz zu früher zunehmend die Politik eine Rolle spielte.
Valerian hatte Gesprächsfetzen aufgeschnappt, in denen von einer bergbaubezogenen Gesetzgebung die Rede war. Mitglieder des Unterhauses, die nach der Herbstsitzungsperiode nach Hause zurückgekehrt waren, und Mitglieder des Oberhauses diskutierten über den Bedarf von Sicherheitsgesetzen, die den Minenarbeitern und ihren Familien eine bessere Lebensqualität zusicherten.
Noch interessanter waren für Valerian die Diskussionen über den Nutzen des Imports von Metallerzen aus den britischen Niederlassungen in Chile und Argentinien. Die Kapitalisten unter den Debattierenden argumentierten, dass dieser Import sicher der wachsenden industriellen Nachfrage dienlich sein würde; andere, kühlere Köpfe, mahnten zur Vorsicht. Den Markt mit Kupfer und Zinn aus dem Ausland zu überschwemmen würde die Preise nach unten drücken, und das hätte negative Auswirkungen auf die einheimische Produktivität.
Canton stellte sich
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