Zärtlicher Eroberer
tanzt auf eine skandalöse Art, St. Just. Macht man das so in Wien?“
„ Ich pflege so zu tanzen.“ Er fragte sich, wie lange er sie noch auf diese Weise im Arm halten konnte. Der Anblick ihres Lächelns war atemberaubend. In diesem Moment gehörte es nur ihm. Es war nicht das Lächeln einer Gastgeberin oder einer Duchess, sondern ihr ganz eigenes. Ein Lächeln, das er schon seit vielen Jahren kannte. So hatte sie ihn angelächelt, wenn sie in halsbrecherischem Galopp über die Felder geritten waren, als sie auf ihrem Debüt mit ihm getanzt hatte und nachdem er sie das erste Mal richtig geküsst hatte, leidenschaftlich und intensiv.
Ihr Lachen war ansteckend, und er wirbelte jetzt nur noch schneller mit ihr durch den Saal, ohne sich um die Konventionen zu scheren.
Genau um Mitternacht verstummte die Musik, damit alle auf das neue Jahr anstoßen konnten. Valerian und Philippa lachten atemlos. Er hatte den Arm um ihre Taille gelegt und genoss Philippas unbeschwerte Fröhlichkeit.
Jetzt trug sie keine Maske mehr, und es war wieder Philippa Stratten, die an seiner Seite stand. Auch Valerian hatte seine fallen gelassen und war wieder ein junger Mann, zum ersten Mal richtig verliebt, noch unberührt von den rauen Momenten des Lebens. Als der letzte Glockenschlag verklungen war, packte ihn plötzlich ein schwindelerregendes Hochgefühl. Er zog sie an sich und küsste sie stürmisch auf den Mund. Augenblicklich schlang sie die Arme um seinen Hals und erwiderte seinen Kuss. Es war ein unvergleichliches Gefühl, zu wissen, dass sie dieselbe Glut empfand wie er und sich ihr nicht mehr widersetzte. In diesem Augenblick nahm er sich fest vor, dass sie bis zum Ende dieses neuen Jahres seine Frau werden würde. Er hatte schon viel zu lange ohne sie gelebt.
Das Orchester stimmte einen nächsten Walzer an, und Valerian begann sie zu drehen, ohne sie zu fragen. Sie protestierte lachend: „Aber wir haben heute Abend doch schon einmal miteinander getanzt!“
„Das war letztes Jahr“, gab er schlagfertig zurück, und sein Hochgefühl wurde durch den Blick eines wütenden Lucien Canton kaum geschmälert, der sie vom Rand der Tanzfläche aus beobachtete. Aus jeder Pore seines untadeligen Äußeren schien Zorn zu entströmen.
Lucien beobachtete das Paar, das so hingebungsvoll und geradezu abstoßend beschwingt miteinander tanzte. Sie boten wirklich einen schönen Anblick, wenn man nicht gerade seine Aussichten, einen der beiden heiraten zu wollen, dramatisch schwinden sah. Valerian Inglemoore war eindeutig zu einem unerwarteten Hindernis für seine weiteren Planungen geworden. Lucien hatte vorgehabt, Philippa im Frühling einen Antrag zu machen, die beginnende Saison in London hätte ihm dafür einen würdevollen Rahmen geboten. Als er sie jetzt mit dem frisch zurückgekehrten Viscount tanzen sah, war ihm klar, dass er nicht mehr so lange warten konnte.
Er musste zuschlagen, ehe es zu spät war. Die meisten Leute, die ihn kannten, schrieben ihm eine hervorragende Menschenkenntnis zu. Lucien wusste, seine Fähigkeit, die Beweggründe und Begierden anderer gut durchschauen zu können, beruhte zum Teil auf seiner Intuition, zum Teil aber auch auf Routine, denn er bespitzelte jeden in seiner Umgebung. Die Duchess war da keine Ausnahme.
Seine Spione hatten ihm berichtet, dass der Viscount vollkommen vernarrt in sie sei. In der letzten Nacht hätte er sie sogar draußen auf der Veranda geküsst. Es hatte Lucien nicht sonderlich beruhigt, dass ihm auch mitgeteilt worden war, sie hätte den Bastard hinterher geohrfeigt. Im Moment haderte sie vielleicht noch mit der Rückkehr ihres früheren Freundes, aber Hass und Liebe lagen gefährlich nahe beieinander. Soweit Lucien beurteilen konnte, würde die schöne und für ihn so ungemein wichtige Duchess nicht mehr interessiert und auch nicht mehr verfügbar sein, wenn er bis zum Frühling wartete.
Ohne die Cambourne-Minen konnte er seine Hoffnungen begraben, den Zinnmarkt zu beherrschen und ein profitables Zinnkartell mit Niederlassungen in England und Südamerika aufzubauen. Und ohne Zugang zum Cambourne-Vermögen würde er gezwungen sein, auf seine eigenen Finanzen zurückzugreifen. Man brauchte kein Hellseher zu sein, um zu wissen, dass seine Freundschaft mit Philippa ein rasches Ende nehmen würde, wenn St. Just ihr Herz gewann. St. Just war nicht der Typ Mann, der es seiner Frau gestattete, einen engen männlichen Freund zu behalten.
Lucien verfolgte ihn mit harten Blicken. Er hatte
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