Zärtlicher Hinterhalt
sie zornig.
»Weil ich
dich davor bewahrt habe«, antwortete er. Er wartete ab, bis sie eine störrische Miene zog, dann hob er wieder den Finger.
Sie nickte mürrisch: »Hier kann sie nicht sein. Und was sollte sie uns auf den Gängen des Schlosses schon antun? Sie wird abwarten und es ein anderes Mal versuchen.«
»Vielleicht hast du Recht.« Er drückte ihr einen kurzen, harten Kuss auf die Lippen. »Aber trotzdem ist Vorsicht geboten!«
Er packte den Griff, stieß die Tür auf – und vor ihnen lag der verlassene Korridor des Ostflügels. Offen stehende Türen führten in ungenutzte Räume, doch Dougald teilte Hannahs Meinung.
Warum sollte diese Frau sich selbst in Gefahr bringen, indem sie sie beide bei hellem Tageslicht mitten im Schloss tötete? Sie wusste schließlich nicht, dass Hannah schon einen Verdacht hegte.
Dougald erkannte, dass Hannah ihn endgültig überzeugt hatte. »Du hast Recht«, sagte er. »Mrs. Trenchard ist die Drahtzieherin.«
»Ja«, sagte Hannah und schien sein großmütiges Zugeständnis gar nicht zu bemerken. »Und den Beweis finden wir, glaube ich, in der Kapelle.«
»In der Kapelle? Warum in der Kapelle?«
»Irgendwie hat es mich wie eine Erleuchtung getroffen, dass alles von der Kapelle ausgeht.«
Plötzlich fiel Dougald wieder ein, was Charles berichtet hatte. Hannah war in der Kapelle niedergeschlagen worden. »Natürlich«, stimmte er ihr zu.
»Falls ich mit meiner traurigen These falsch liege, wo sonst sollte der Beweis zu finden sein?«
Dougald erinnerte sich, wie schützend sich Mrs. Trenchard vor die Kapelle zu werfen pflegte, wie sie alle Putzarbeiten selbst erledigte und was sie über die Renovierungsarbeiten gesagt hatte. Sie hatte sich sehr für sein Vorhaben interessiert.
»Ich habe einen Plan«, fing Hannah wieder an.
Er nahm sie am Arm und geleitete sie den Flur hinunter. »Erkläre ihn mir.«
Als sie geendet hatte, schüttelte er den Kopf. »Nein. Es muss einen besseren Weg geben.«
»Vielleicht gibt es den; aber mir fällt jetzt keiner ein, und bis zum Besuch der Königin bleibt uns nicht mehr viel Zeit. Es wäre ein entschiedener Mangel an Respekt vor der Etikette, wenn einer von uns beiden getötet würde, bevor sie hier eintrifft.«
»Das mag sein; doch ich hege noch Zweifel an deinen Schlussfolgerungen. Mrs. Trenchard, das konnte ich beobachten, hat nämlich Seaton sehr gern.«
»Wie die meisten Frauen!«
Was Dougald nun gar nicht gefiel. »Warum? Er ist doch nur ein kleiner, aufgeblasener Zwerg.«
»Er ist charmant, weiß die besten Klatschgeschichten zu erzählen und mag die Frauen.«
»Das tue ich auch.«
»Und früher warst du ebenfalls charmant. Vielleicht könntest du diesen Zug wieder ein wenig kultivieren.« Sie lächelte frech. »Aber zur Klatschtante taugst du nicht. Entweder man schaut finster drein, oder man verbreitet den neuesten Klatsch. Und du hast in den letzten neun Jahren die erste Version perfektioniert.«
Auf der Stelle verdüsterte sich seine Miene. »Du hast mir besser gefallen, als du noch fürchtetest, ich könnte dich umbringen«, sagte er.
Hannahs Lächeln schwand. »Sorgen mache ich mir immer noch, aber über etwas ganz anderes.«
Und worüber? Er hätte gerne gefragt, was dieser nachdenkliche Gesichtsausdruck zu bedeuten hatte, aber nicht jetzt. Nicht bevor sie diese andere Sache bereinigt hatten.
»Du glaubst also, Mrs. Trenchard hat es auf die Lords abgesehen, weil sie Seaton den Titel verschaffen will«, folgerte Hannah.
»Ja.«
»Ist denn ein Verbrechen, bei dem es um Geld und Besitz geht, wahrscheinlicher als eines aus Gründen der Ehre und der Loyalität?«, wollte sie wissen.
»Zumindest ist es leichter nachvollziehbar.«
»Weil Geld und Besitz greifbar sind; Ehre und Loyalität hingegen sind von schwer zu fassendem Wert«, spöttelte sie. »Weswegen Ehre und Loyalität auch so rar sind.«
Er ahnte, dass sie dabei war, ihm eine Falle zu stellen; aber er konnte noch nicht erkennen, an welcher Stelle die Falle zuschnappen würde.
»Dennoch hast du aus Gründen der Ehre und Loyalität diese Kugel abgefangen.«
Und der Liebe wegen.
Er hätte es ihr sagen sollen. Er hätte es, ihr eingestehen sollen, sie zum Lachen oder zum Weinen bringen oder zu was auch immer. Aber er schaffte es nicht. Die Erkenntnis war zu neu und der Zeitpunkt falsch. Zu viele Halbwahrheiten und Verletzungen standen zwischen ihnen. Und vielleicht, vielleicht, würde sie weder lachen noch weinen, sondern sich für ihn schämen.
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