Zärtlicher Hinterhalt
sich nach vorne und starrte ihn böse an. »Du willst, dass ich dir eins auf die Ohren gebe.«
Mit ausgebreiteten Armen wartete er, ob sie es versuchte. Aber so dumm war Hannah nicht, und schließlich ließ er die Arme sinken. »Ich denke, du bist zu deiner Freundin Lady Ruskin gelaufen, hast ihr erzählt, dass du einem gewissen Dougald Pippard aus Liverpool Geld schicken möchtest, und hast sie gefragt, ob sie das für dich erledigen könnte, ohne deine Identität preiszugeben.«
Aha, er wusste alles. All ihren Bemühungen zum Trotz hatte er sie über ihre Freunde aufgespürt. Und so wie sie Dougald kannte, war er Charlotte ordentlich auf den Pelz gerückt. Aber Charlotte besaß ein resolutes Wesen. »Lady Ruskin ist eine meiner liebsten Freundinnen, und ich glaube keine Sekunde, dass du sie hast einschüchtern können.«
»Nicht im Geringsten. Charlotte … beziehungsweise Lady Ruskin ist eine äußerst angenehme Dame.«
Wie selbstverständlich er den Vornamen benutzte, gab Hannah zu denken.
»Sie hat deinem Wunsch nach Geheimhaltung ja in der Tat völlig entsprochen und das Geld sogar noch über ihre Schwiegermutter, eine gewisse Lady Bucknell, umgeleitet.«
»Lady Bucknell?«
Hannah dachte an die schöne, elegante Adorna, die so prompt bereit war, die Vornehme Akademie der Gouvernanten selbst zu kaufen. Hatte sie andere Motive gehabt als reines Eigeninteresse? »Lady Bucknell hat dir verraten, wo ich zu finden bin?«
»Aber nein«, schnaubte er, als sei doch alles kristallklar und keineswegs ein rätselhaftes Labyrinth, in das er Hannah mit voller Absicht hineingejagt hatte. Ach habe das Geld bekommen und die Zahlung bis zu Lord und Lady Bucknells Londoner Konten zurückverfolgt. Sofort bin ich zu Lord Bucknell geeilt und habe mir, offen gestanden, schlimme Dinge ausgemalt, was euch beide betrifft.«
Hannah zuckte zusammen.
»Er hat unerhört beleidigt reagiert.«
Hannah dachte an Adornas anständigen, halsstarrigen Gemahl und sagte: »Daran zweifle ich nicht.«
»Aber als ich ihm erklärte, dass ich dein Ehemann bin …«
»Mein Ehemann!« Hannah schlug die Hand aufs rasende Herz. »Du hast Lord Bucknell gesagt, dass du mein Ehemann bist?«
»Selbstverständlich.« Als er sah, dass Hannah getroffen war, verzog er sofort wieder seine Lippen zu diesem Lächeln. »Er hat die Zahlung bis zu Lady Ruskin zurückverfolgt, worauf wir dann beide Lord Ruskin aufsuchten.«
»Lord Ruskin ist ebenfalls im Bilde?« Hannah sprang auf. Das war es, was sie befürchtet hatte. »Dann weiß Charlotte komplett Bescheid.«
Charlotte Dalrumple und Miss Pamela Lockhart hatten mit ihr zusammen die Gouvernantenschule gegründet.
»Ja, ganz richtig!« Er betrachtete sie, als hätte er sich die ganze Zeit über schon darauf gefreut, ihr mitzuteilen, wie sauber und effizient er sie umzingelt hatte. »Aber sie vertraut dir bedingungslos. Sie hat darauf beharrt, dass du sicherlich gute Gründe gehabt hättest, wegzulaufen und nicht zurückzukehren. Die Lady hat dich ziemlich vehement verteidigt.«
»Natürlich hat sie das. Sie … wie lange ist es diesen beiden bekannt?«
»Seit ein paar Monaten.«
»Dann haben sie es schon gewusst, als ich zur Taufe ihres jüngsten bei ihnen war. Sie haben kein Wort gesagt.« Hastig durchforstete sie ihre Gedächtnis nach irgendeinem Hinweis. Von Seiten Lord Ruskins vielleicht, aber dem war ihre Unabhängigkeit immer ein Dorn im Auge gewesen. Der Mann glaubte doch allen Ernstes, dass Frauen grundsätzlich heiraten sollten, und von all ihren Freunden war er derjenige gewesen, der ihr am wildesten entschlossen einen passenden Ehemann gesucht hatte. Damals kostete es Charlotte einige Anstrengung, ihn zu bremsen. Charlotte, die ihrem Gatten gestattete, wie ein König über Haus und Firma zu herrschen. Charlotte, die ihn mit strenger Hand, welche aber in einem Samthandschuh steckte, dirigierte. Charlotte … Hannah hätte geschworen, dass sie sich wie immer verhielt. Dennoch hatte sie es die ganze Zeit über gewusst. Nur der Himmel war Zeuge, was sie insgeheim gedacht hatte.
Hannah entfernte sich ein paar Schritte vom Feuer. »Aber sie haben dir trotzdem gesagt, wo ich zu finden bin.«
»Lord Ruskin ist mit der Sprache herausgerückt. Er war recht bestürzt über unsere Situation.«
»Selbstverständlich war er das. Er hält die Männer für ein Geschenk Gottes an das weibliche Geschlecht, für das die Frauen gefälligst dankbar zu sein haben. Ohne Charlotte wäre er unerträglich.« Sie
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