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Zärtlicher Hinterhalt

Zärtlicher Hinterhalt

Titel: Zärtlicher Hinterhalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina Dodd
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darin, das Unaussprechliche auszusprechen.
Sir und Madam, ich weiß nicht, ob Sie sich meiner Existenz bewusst sind – aber ich bin die Tochter Miss Carola Tomlinsons und Ihres Sohnes Henry.
    Oder:
Mr. und Mrs. Burroughs, es ist jetzt achtundzwanzig Jahre her, dass Ihr Sohn Henry meine Mutter, Miss Carola Tomlinson, geliebt hat – und ich bin das Resultat.
    Oder:
Sie haben diesen Tag zweifelsohne immer gefürchtet …
    Das war es doch, nicht wahr? Wenn ihre Großeltern von der bevorstehenden Geburt ihres Enkelkindes gewusst und Mutter dennoch ohne jede Spur von Mitgefühl davongejagt hatten, dann würden sie Hannah auch jetzt nicht haben wollen. Und falls doch, würde Hannah
sie
noch wollen? Konnte sie ihnen das Elend ihrer Kindertage und Mutters frühen Tod verzeihen? Mama war erst einunddreißig Jahre alt gewesen, als sie starb. Nur wenig älter als Hannah jetzt; in solch einem Alter ans Sterben zu denken erschien ihr als hoffnungsloseste Bitternis.
    Das Haupttor stand offen, und zwischen den Bäumen lugte das Haus hervor. Irgendwo in ihrem Innern fing die Drangsal zu wachsen an, ließ Hannah atemlos und furchtsam werden. Kurz bevor sie das Tor erreichte und den finalen, unwiderruflichen Schritt tat, zog Hannah an den Zügeln und lenkte den Wagen nach links an den Straßenrand. Sie brachte das Pony zum Stehen und kletterte hinunter ins Gras, das vom morgendlichen Regen feucht war. Mit den Zügeln in der Hand ging sie weiter, bis sich ihr Gesicht zwischen die metallenen Stäbe des Zauns presste.
    Sie starrte das Backsteingebäude im Palladium-Stil des vorigen Jahrhunderts an, das anheimelnd von Efeu bewachsen war und mit schneeweißem Stuck verziert. Es schien nicht allzu groß, zwanzig Zimmer vielleicht, das Heim einer wohlhabenden Landfamille. Ein gepflegter Rasen und alte Bäume rahmten das Gebäude ein; blühende Rosenranken schlangen sich über die Laubengänge wie ein Band um ein Geschenkpaket. Burroughs Hall war wunderschön, der Traum eines Jeden Waisenkinds.
    Hannah schaffte es nicht, weiter vorzudringen, die Stufen zu erklimmen und den Türklopfer anzuheben. Ihre Finger schlossen sich fest um die Eisenstäbe. Ihre Eltern waren einander hier begegnet, hatten sich hier ineinander verliebt, und sie selbst war vermutlich in einem jener Zimmer unterm Dach gezeugt worden. Dennoch gehörte sie nicht hierher. Wie auch? Ihre Großeltern hatten sie schon verjagt, bevor sie überhaupt das Licht der Welt erblickte.
    Das Hauptportal ging auf, Hannah straffte sich. Wer würde es sein? Ein Mann in altmodischer blauer Seidenlivree und mit einer gepuderten Perücke auf dem Kopf trat auf den Portikus heraus.
    Allmählich entspannte Hannah sich wieder. Ein Lakai. Er hob die Hand, und von hinten ertönten Hufgeklapper und das Klirren von Pferdegeschirr. Mit einem forschen Kutscher auf dem Bock rollte eine offene Kutsche auf die Stufen zu. Der Lakai sprach mit dem jungen Mann. Hannah war zu weit entfernt, um auch nur den leisesten Ton mitzubekommen; aber dies konnte nur bedeuten, dass … ja … da stand er. Ein aufrechter, alter Gentleman mit borstigen Brauen und Schnurrbart in einem braunen Anzug. Er trat aus dem Haus, leckte einen Zeigefinger und hielt ihn in den Wind. Augenscheinlich angetan, nickte er, holte eine silberne Uhr aus der Tasche, klappte den Deckel auf und drehte sich ungeduldig zur Tür um. »Alice, müssen wir deinetwegen denn immer zu spät kommen?«, rief er mit tiefer Stimme.
    Eine gebückte Dame im maronenfarbenen Seidenkleid, ein federbesetztes Bonnet auf dem Kopf, erschien neben ihm. Die Hutfedern wippten unablässig, und Hannah konnte nur die sich bewegenden Lippen erkennen, denn die Frau sprach leise, wie man es von einer Lady erwarten durfte, und Hannah verstand kein Wort.
    Der Mund wurde ihr trocken, als sie zum ersten Mal ihre einzigen Verwandten sah.
    Sie dachte nicht daran, sich von der Stelle zu rühren. So stand sie wie angewurzelt da und sah zu, wie der Lakai die Trittstufen neben der Kutsche platzierte und erst der alten Dame, dann seinem Herrn in den Wagen half. Erst als der Lakai den Schlag zumachte, realisierte Hannah, dass sie sich besser versteckte, verstecken musste. Sie bugsierte Pony und Wagen eilig zwischen die Büsche, deren Zweige noch raschelten, als die Kutsche sich schon in Bewegung gesetzt hatte.
    Feige Närrin, die sie war, blieb sie im Gebüsch zurück und sah vom Straßenrand zu, wie der Wagen davonrollte.
    Ihre Großmutter und ihr Großvater – und Hannah hatte nicht

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