Zärtlicher Nachtwind - Kleypas, L: Zärtlicher Nachtwind - Tempt me at Twilight
umso härter für sie kämpfen mussten. Und es schien ihm keinen vernünftigen Grund zu geben, warum ausgerechnet Poppy, das hübscheste Mädchen in ganz London, immer noch nicht verheiratet war. Leo war in Gedanken bereits alle seine Bekannten durchgegangen und hatte sich gefragt, ob jemand von ihnen für seine Schwester infrage käme, aber nicht ein Einziger schien auch nur annähernd geeignet zu sein. Wenn einer den richtigen Charakter hatte, war er entweder ein Idiot oder bereits senil. Und dann gab es noch die Wüstlinge, die Verschwender und die Gauner. Gütiger Gott, der Adel war eine Ansammlung erbärmlicher männlicher Exemplare! Und dabei schloss er sich selbst mit ein.
»Hallo, Schwesterherz«, begrüßte Leo sie sanft und ging auf sie zu. »Wo sind die anderen?«
Poppy brachte ein mattes Lächeln zustande. »Cam ist geschäftlich unterwegs, und Amelia und Beatrix schieben Rye im Park spazieren.« Sie rutschte zur Seite, um ihrem Bruder auf der Bank Platz zu machen. »Wie geht es dir, Leo?«
»Nicht der Rede wert. Und dir?«
»Alles bestens«, antwortete sie tapfer.
»Ja, das sehe ich.« Leo setzte sich und streckte seine Arme nach Poppy aus. Er drückte sie fest an sich und streichelte ihr über den Rücken, bis er ein Schluchzen vernahm. »So ein Dreckskerl«, sagte er gelassen. »Soll ich ihn für dich umbringen?«
»Nein«, antwortete sie mit tränenerstickter Stimme. »Es war nicht seine Schuld. Er wollte mich wirklich heiraten. Glaub mir, seine Absichten waren gut.«
Er küsste sie auf den Scheitel. »Traue niemals einem Mann mit guten Absichten. Er wird dich immer enttäuschen.«
Poppy weigerte sich, sein Bonmot mit einem Lächeln zu belohnen. Stattdessen befreite sie sich aus seiner Umarmung und sah ihn an. »Ich möchte nach Hause, Leo«, erklärte sie wehmütig.
»Das verstehe ich, meine Liebe. Aber jetzt geht es noch nicht.«
Sie blinzelte. »Warum nicht?«
»Ja, warum nicht?«, mischte sich Catherine Marks ein, die auf einem Stuhl in der Nähe saß.
Leo hielt inne und warf der Gesellschafterin einen finsteren Blick zu, bevor er sich wieder an Poppy wandte. »Es sind Gerüchte im Umlauf«, sagte er geradeheraus. »Gestern war ich auf einer Soiree, die von der Frau des spanischen Botschafters gegeben wurde – eine dieser Veranstaltungen, zu denen man nur geht, um nachher sagen zu können, man sei dort gewesen –, und ich kann dir nicht sagen, wie oft ich auf dich und Bayning angesprochen wurde. Alle scheinen zu glauben, dass du Bayning liebst und er dich zurückgewiesen hat, weil du in den Augen seines Vaters nicht gut genug bist.«
»Das ist die Wahrheit.«
»Poppy, du bist in der Londoner Gesellschaft! Hier kann dir die Wahrheit zum Verhängnis werden. Wenn du erst mal eine Wahrheit erzählt hast, wirst du gleich die nächste erzählen müssen, und dann wieder die nächste, um ein Gerücht nach dem anderen zu ersticken.«
Das entlockte ihr ein aufrichtiges Lächeln. »Versuchst du mir einen Rat zu geben, Leo?«
»Ja. Und obwohl ich dir sonst immer empfehle, meine Ratschläge zu ignorieren, solltest du ihn diesmal lieber annehmen. Das letzte bedeutende Ereignis dieser Saison ist ein Ball, der nächste Woche von Lord und Lady Norbury gegeben wird …«
»Wir haben gerade unsere Absage geschrieben«, teilte Catherine ihm mit. »Poppy wünscht nicht an der Veranstaltung teilzunehmen.«
Leo blickte sie durchdringend an. »Ist die Absage bereits verschickt worden?«
»Nein, aber …«
»Dann zerreißen Sie sie. Das ist ein Befehl.« Leo sah, wie sich ihre schmale Gestalt versteifte, und empfand eine widernatürliche Genugtuung bei dem Anblick.
»Aber, Leo!«, protestierte Poppy. »Ich möchte nicht auf einen Ball gehen. Die Leute werden mich anstarren, um herauszufinden …«
»Natürlich werden sie dich anstarren«, erwiderte Leo. »Wie ein Schwarm hungriger Aasgeier. Und genau deshalb musst du hingehen. Andernfalls wirst du vom Klatsch und Tratsch zerfleischt werden, und in der nächsten Saison wird man dich gnadenlos verspotten.«
»Das ist mir egal«, sagte Poppy. »Ich werde mir ohnehin keine Saison mehr antun.«
»Es könnte sein, dass du deine Meinung änderst. Und ich möchte, dass du die Wahl hast. Weshalb du an diesem Ball teilnehmen wirst, Poppy. Du wirst dein schönstes Kleid tragen, und blaue Schleifen im Haar, und du wirst allen zeigen, dass du keinen Deut auf Michael Bayning gibst. Du wirst tanzen und lachen und dein Haupt hoch tragen.«
»Leo«, stöhnte
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