Zärtlicher Nachtwind - Kleypas, L: Zärtlicher Nachtwind - Tempt me at Twilight
meinem Vater gegangen und hat uns verraten. Er hat unsere Freundschaft in das schlechteste Licht gerückt. Rutledge hat meinen Vater gegen uns aufgebracht, bevor ich überhaupt die Gelegenheit hatte, ihm unsere Seite zu erklären.«
Poppy wurde noch kälter, als ihr ohnehin schon war, ihr Mund fühlte sich trocken an, und die langsamen, mühevollen Schläge ihres Herzens schmerzten. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken, und sie zog eine ganze Reihe von Schlussfolgerungen, von denen eine schrecklicher als die andere war.
Die Tür wurde aufgestoßen, und alle wandten sich um, als noch jemand den kleinen, überfüllten Raum betrat.
»Natürlich«, hörte Poppy Leo sagen. »Du hast noch gefehlt, um das Drama perfekt zu machen.«
Harry wirkte erstaunlich ruhig. Er ging auf Poppy zu, seine grünen Augen waren kühl. Seine Selbstbeherrschung trug er wie einen undurchdringbaren Panzer. »Hallo, Liebling.« Er fuhr mit einer Hand vorsichtig über die Spitzenborte ihres durchsichtigen Schleiers.
Obwohl er sie gar nicht unmittelbar berührt hatte, zuckte Poppy zurück. »Es bringt Unglück«, flüsterte sie mit trockenem Mund, »wenn du mich vor der Zeremonie siehst.«
»Ein Glück«, sagte Harry, »dass ich nicht abergläubisch bin.«
Poppy überkam ein Gefühl der Verzweiflung, der Wut, und dumpfes Entsetzen breitete sich in ihr aus. Sie starrte in Harrys Gesicht, konnte aber keine Spur von Reue in seinem Ausdruck erkennen.
In dem Märchen …, hatte er zu ihr gesagt, wäre ich vermutlich der Bösewicht .
Er hatte Recht.
Und sie war kurz davor, ihn zu heiraten.
»Ich habe ihr gesagt, was Sie getan haben«, wandte sich Michael an Harry. »Wie Sie es geschafft haben, unsere Liebe unmöglich zu machen.«
»Ich habe sie nicht unmöglich gemacht«, entgegnete Harry. »Ich habe allenfalls die Bedingungen erschwert.«
Wie jung und unberührt und verletzlich Michael wirkte, ein gescheiterter Held.
Und wie groß und grausam und überheblich Harry war. Poppy konnte nicht glauben, dass sie ihn jemals charmant gefunden hatte, dass sie ihn gemocht hatte, dass sie es für möglich gehalten hatte, in irgendeiner Weise mit ihm glücklich zu werden.
»Sie hätten sie haben können, wenn Sie sie wirklich gewollt hätten«, fuhr Harry fort, und ein mitleidloses Lächeln spielte um seine Lippen. »Aber ich wollte sie mehr.«
Michael stieß einen erstickten Schrei aus und ging mit erhobener Faust auf Harry los.
»Nein«, keuchte Poppy, und Leo machte einen Satz nach vorn. Doch Harry war schneller. Er packte Michaels Arm und drehte ihn auf den Rücken. Fachmännisch schob er ihn gegen die Tür.
»Hör auf!«, rief Poppy, die herbeieilte und mit den Fäusten auf Harrys Schulter und Rücken eintrommelte. »Lass ihn los! Hör auf damit!«
Harry schien ihre Schläge nicht zu spüren. »Raus damit, Bayning«, sagte er kühl. »Sind Sie nur gekommen, um sich zu beschweren, oder was wollen Sie mit diesem Auftritt bezwecken?«
»Ich bringe sie fort von hier. Fort von Ihnen!«
Harry lächelte frostig. »Vorher fahren Sie zur Hölle.«
»Lass … ihn … los!«, forderte Poppy in einem Ton, den sie noch nie zuvor gebraucht hatte.
Er reichte aus, um Harry Einhalt zu gebieten. Seine grünen Augen funkelten unheilvoll, als er ihren Blick suchte. Zögernd ließ er von Michael ab, der keuchend herumfuhr und sich wieder an Poppy wandte.
»Komm mit mir, Poppy«, flehte er. »Wir fahren nach Gretna. Mein Vater und mein Erbe sind mir völlig egal. Ich kann nicht zulassen, dass du dieses Monster heiratest.«
»Weil du mich liebst?«, fragte sie beinahe im Flüsterton. »Oder weil du mich retten willst?«
»Beides.«
Harry beobachtete sie aufmerksam und nahm jede Nuance ihres Ausdrucks wahr. »Geh ruhig mit ihm«, lud er sie sanft ein. »Wenn es das ist, was du willst.«
Poppy ließ sich nicht täuschen. Harry war bereit, alles zu tun, um seinen Willen zu bekommen, ungeachtet des Leids und der Zerstörung, die er anrichtete. Er würde sie niemals gehen lassen. Er stellte sie lediglich auf die Probe, aus Neugier, wie sie sich entscheiden würde.
Eines war klar: Sie und Michael würden nie zusammen glücklich werden. Denn Michaels gerechtfertigter Zorn würde sich eines Tages wieder legen, und dann würden alle Gründe, die ihm zuerst so wichtig erschienen, wieder ihre Gültigkeit bekommen. Er würde es bereuen, sie geheiratet zu haben. Er würde die Schmach, die Enterbung sowie die lebenslange Missbilligung seines Vaters bedauern.
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