Zärtlicher Nachtwind - Kleypas, L: Zärtlicher Nachtwind - Tempt me at Twilight
Ich werde dich niemals lieben. Willst du mich dennoch heiraten?«
»Ja«, sagte Harry, ohne zu zögern. »Ich habe nie danach verlangt, geliebt zu werden. Und bislang hat es weiß Gott auch niemand getan.«
Dreizehntes Kapitel
Poppy hatte Leo verboten, den anderen Familienmitgliedern zu erzählen, was unmittelbar vor der Hochzeit geschehen war. »Nach dem Frühstück kannst du ihnen erzählen, was du willst«, hatte sie gesagt. »Aber um meinetwillen, bitte warte bis dahin. Ich werde alle diese Rituale – das Frühstück, die Hochzeitstorte, die Tischreden – nicht durchstehen, wenn ich ihnen in die Augen blicken muss und weiß, was sie wissen.«
Leo hatte wütend ausgesehen. »Du erwartest von mir, dass ich dich zum Altar führe und aus Gründen, die ich nicht verstehe, Rutledge übergebe.«
»Du musst es nicht verstehen. Hilf mir einfach, es durchzustehen.«
»Ich will dir nicht dabei helfen, Mrs Harry Rutledge zu werden.«
Doch weil sie ihn darum gebeten hatte, beschloss Leo, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Mit einem Kopfschütteln bot er ihr den Arm an, und dann folgten sie Beatrix nach vorn zum Altar, wo Harry Rutledge auf sie wartete.
Der Gottesdienst war gnädigerweise kurz und unsentimental. Nur einmal wurde es Poppy unbehaglich zumute, nämlich als der Pfarrer sagte: »… ist jemand hier unter euch, der gegen diese Verbindung etwas einzuwenden weiß, so möge er jetzt sprechen oder für immer schweigen.« Für die darauffolgenden zwei oder drei Sekunden schien es ihr, als hielte die ganze Welt den Atem an. Poppys Puls ging schneller. Ihr wurde bewusst, dass sie erwartete, ja, hoffte, Michaels lautstarken Protest zu hören.
Doch alles schwieg. Michael war fort.
Die Zeremonie ging weiter.
Harrys warme Hand umschloss ihre kalte. Sie wiederholten ihre Gelübde, und der Pfarrer reichte Harry den Ring, der ihn entschieden auf Poppys Finger schob.
Harrys Stimme war gleichmäßig und ruhig. »Mit diesem Ring nehme ich dich an als meine Frau. Ich will dich lieben, achten und ehren und in Treue zu dir stehen in guten wie in schweren Tagen.«
Poppy sah ihm nicht in die Augen, sondern starrte auf den glänzenden Reif an ihrem Finger. Zu ihrer Erleichterung würde es keinen Kuss geben. Der Brauch, die Braut zu küssen, galt als geschmacklos und vulgär und fand in St. George’s keine Verwendung.
Als sie sich schließlich zwang, zu Harry aufzublicken, musste sie zurückzucken, so überwältigend war der Ausdruck von Genugtuung in seinem Gesicht. Sie nahm seinen Arm, und gemeinsam schritten sie den Mittelgang wieder zurück in Richtung einer Zukunft, die alles andere als vielversprechend war.
Harry wusste, dass Poppy ihn für ein Monster hielt. Er sah ein, dass seine Methoden ungerecht und eigennützig waren, aber es war die einzige Möglichkeit gewesen, Poppy zu seiner Frau zu machen. Und er bereute es nicht im Allergeringsten, sie Bayning entrissen zu haben. Vielleicht war er ein amoralischer Mensch, aber nur so wusste er sich in der Welt zu behaupten.
Nun war Poppy sein, und er würde sicherstellen, dass sie es nicht bedauerte, ihn geheiratet zu haben. Er würde so gütig zu ihr sein, wie sie es erlaubte. Und seiner Erfahrung nach verziehen die Frauen alles, wenn man nur die richtigen Anreize schaffte.
Harry war den Rest des Tages entspannt und in guter Stimmung. Eine Prozession »gläserner Kutschen«, kunstvoll gearbeiteter Wagen mit Goldverzierungen und Glasfenstern zu allen Seiten, brachte die Hochzeitsgesellschaft zum Rutledge Hotel, wo im hoteleigenen Bankettsaal ein gewaltiges Frühstück abgehalten wurde. Schaulustige drängten sich an den Fenstern in der Hoffnung, einen Blick auf die glanzvolle Szene zu erhaschen. Rings um den Raum hatte man korinthische Säulen und hellenische Rundbögen aufgestellt, die mit Tüll und Blumengirlanden geschmückt waren.
Eine Dienerschar trug Silberplatten und Champagnertabletts auf, und die Gäste nahmen auf ihren Stühlen Platz, um das Mahl zu genießen. Serviert wurden individuelle Portionen Gans an Kräutersahne mit einer dampfenden goldenen Kruste … Schüsseln mit Melonen und Weintrauben, gekochte Wachteleier auf frischem grünem Salat, Körbe mit warmen Hefeteigbrötchen, Toastbrot und Teegebäck, gebratener Räucherspeck … Platten mit hauchfein geschnittenem Beefsteak, dessen zartrosa Fleisch mit wohl duftenden Trüffelraspeln bestreut waren. Drei Hochzeitstorten wurden aufgetragen, alle reichlich mit Früchten gefüllt und mit
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