Zärtlicher Sturm
es hieß, von einem Mann in die Arme gerissen zu werden. Auch Antoine Gautier hatte sie nie leidenschaftlich an sich gezogen. Er hatte nach Art der Franzosen zärtlich mit ihren Händen gespielt. Und doch hatten Antoines Lippen,
wenn sie ihre Handfläche streiften, ihre Leidenschaft stärker angefacht als irgend etwas, was Joel je getan hatte.
Sie konnte es Joel nicht vorwerfen. Nach der Demütigung, die sie durch Antoine erfahren hatte, hatte sie sich geschworen, nie mehr zu lieben – und ihr Herz hatte sie ernst genommen. Ihr konnte das nur recht sein. Jetzt konnte niemand mehr sie verletzen. Das redete sie sich immer wieder ein, um nicht auf mehr als eine laue Zuneigung zu hoffen.
Seufzend blieb sie vor der Haustür stehen und sah Joel nach, der die Stufen hinuntersprang und in seine Kutsche stieg. Er sah so gut aus. Sein Teint war fast so cremig weiß wie der ihre. Sein kleiner Schnurrbart war immer sehr gepflegt. Sein schlanker Körper war keineswegs furchteinflößend, ganz im Gegensatz zu der muskulösen Gestalt ihres Vaters. Er war auch frei von jeder Arroganz, und das war ihr wichtig: Die anmaßende Arroganz ihres Vaters reichte ihr für das ganze Leben. Joel war freundlich und besaß einen leichtsinnigen Charme. Was hätte sie sich sonst noch wünschen können?
Wem machte sie hier eigentlich etwas vor? Es war alles andere als schmeichelhaft, wenn ein Mann einem nicht einmal vormachen konnte, er fände einen begehrenswert. Antoine hatte zumindest so getan als ob. Nein, sie würde die beiden nicht miteinander vergleichen. Joel war ganz anders als der verlogene Antoine. Ihre Größe schreckte die meisten Männer ab, und ihre schlanke, knabenhafte Figur vergraulte die übrigen. Sie war einfach nicht weiblich, und sie hatte all das nicht, was nötig war, um die Leidenschaft in Männern wachzurufen.
Natürlich gab es Männer, die sie mit unverhohlener Wollust ansahen, doch sie hütete sich vor ihnen. Das waren Männer wie Antoine, die lediglich der Gedanke anstachelte, einer Frau die Unschuld zu nehmen. Das war alles, was sie wollten. Zumindest war sie dem nicht mehr ausgesetzt, wenn sie erst verheiratet war.
Nächste Woche. Nächste Woche würde sie Mrs. Joel Parrington sein. Und doch liebte er sie nicht, und sie liebte ihn nicht. Es spielte keine Rolle. Sie würde nie mehr einen Menschen lieben, und daher spielte es wirklich keine Rolle.
3
Marcus Hammonds Blutdruck erhöhte sich. Er funkelte seine ältere Tochter wütend über seinen Schreibtisch an, doch seine Unfreundlichkeit konnte sie diesmal nicht einschüchtern. Sie funkelte ihn an, und er konnte es einfach nicht glauben. Sie erinnerte ihn zu sehr an seine Frau. Aber er dachte gar nicht daran, ihre Auflehnung hinzunehmen. »Geh in dein Zimmer, Sharisse!« Ihre großen Amethystaugen wurden noch runder. »Willst du damit sagen, daß du nicht einmal bereit bist, mit mir darüber zu reden?« »Ja.«
»Ich gehe nicht ins Bett, ehe diese Angelegenheit geklärt ist.«
»Du gehst nicht ins Bett? Bei Gott …« »Würdest du mir bitte einfach zuhören?« Sharisses Stimme war jetzt flehentlich.
»Mir noch mehr Unsinn anhören? Ich denke gar nicht daran!«
»Aber verstehst du das denn nicht? Ich kann Joel jetzt nicht heiraten. Wie könnte ich das tun, wenn ich weiß, daß Stephanie ihn liebt?«
»Stephanie ist ein Kind«, brauste ihr Vater auf. »Sie ist zu jung, um irgend etwas über die Liebe zu wissen.«
»Sie ist siebzehn, Vater«, hob Sharisse hervor. »War Mutter nicht siebzehn, als du sie geheiratet hast?«
»Laß deine Mutter aus dem Spiel!« warnte Marcus.
»Hör dir doch wenigstens an, was ich zu sagen habe … ich liebe Joel nicht, aber Steph liebt ihn. Warum also muß ich ihn heiraten, wenn sie ihn doch heiraten will?«
»Damit hättet ihr herausrücken müssen, als abgemacht wurde, daß du ihn heiratest, und nicht jetzt, eine Woche vor der Hochzeit. Du warst rundum bereit, den Jungen zu heiraten, ehe deine Schwester dir dieses alberne Geständnis gemacht hat. Jetzt ist es zu spät, Sharisse.«
»Ich könnte laut schreien!« rief Sharisse aus, und ihr Vater war gänzlich schockiert. »Es ist ja schließlich nicht so, daß wir nicht bestens mit den Parringtons bekannt sind. Joels Vater ist dein bester Freund, und du warst schon vor meiner Geburt mit ihm befreundet. Wenn wir Edward die Situation erklären, wird er es gewiß verstehen.«
»Einen Dreck wird er!« brummte Marcus, den der Gedanke völlig aus der Fassung brachte, seinem
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