Zärtlicher Sturm
ich dir je dafür danken, Rissy?« rief Stephanie aus.
»Indem du, so schnell es geht, Mrs. Joel Parrington wirst. Es macht mir nichts aus, für eine Weile zu verschwinden, aber ich möchte nicht allzulange fort sein.« Sie lächelte versonnen. »Schließlich kann sich kein Ort auf Erden mit New York vergleichen. Ich liebe diese Stadt, und ich hasse es, Heimweh zu haben.«
Stephanie strahlte. »Du wirst wieder hier sein, ehe du weißt, wo die Zeit hingekommen ist.«
4
Benjamin Whiskers stand hinter der Bar und trocknete langsam einen Bierkrug ab. Sein Blick war auf Lucas Holt gerichtet, und er beobachtete, wie er auf die Flügeltür zuging, hinausschaute und sich dann wieder an die Bar stellte. Er trank seinen fünften Whisky aus, und er hatte gerade zum fünften Mal aus der Tür geschaut. Ben verzehrte sich danach, ihn zu fragen, wonach er eigentlich Ausschau hielt, aber er brachte den Mut nicht auf. In seinem Kopf hatte sich immer noch nicht das Bild zurechtgerückt, daß dies hier der freundliche der Brüder Holt und nicht der andere war.
Wenn Ben nicht selbst in der Nacht vor sieben Jahren dabeigewesen wäre, als Slade Holt Feral Sloan erschossen hatte, dann hätte er Luke Holt nicht so argwöhnisch beobachtet. Aber er war dagewesen und hatte gesehen, wie Slade Feral kaltblütig erschossen und es nicht einen Moment lang bereut hatte. Slade Holt war ein gefährlicher Mann. Und der da war ein exaktes Abbild von Slade. Sie waren Zwillinge. Da konnte einem schon ganz anders werden.
Viele Leute in der Stadt mochten Luke, hatten ihn regelrecht ins Herz geschlossen. Das lag nicht etwa daran, daß sie die Geschichten über Slade als erfunden abtaten, sondern daran, daß sie Lucas als ersten der beiden kennengelernt hatten. Diese beiden Brüder sahen zwar absolut gleich aus, aber sie waren so verschieden voneinander wie Tag und Nacht.
Luke, der sonst immer mit einem freundlichen Wort zur Hand war, wirkte heute nervös, und er stürzte Whisky wie Wasser in sich hinein.
Es war ein Schock gewesen, als Lucas vor zwei Jahren dauerhaft in die Stadt gezogen war. Die Leute fragten sich zwar, warum er sich ausgerechnet Newcomb ausgesucht hatte, aber niemand stellte ihm irgendwelche Fragen. Heute ließ sich niemand mehr in Newcomb nieder. Da die Eisenbahn die Stadt übergangen hatte, wollte niemand mehr in dieser Stadt leben. Doch Lucas Holt war gekommen und hatte die alte Johnson-Ranch drei Meilen außerhalb der Stadt gekauft. Wahrscheinlich war er ein liebenswürdiger Mensch, wenn man ihn näher kennenlernte, aber Ben würde ihn und Slade niemals auseinanderhalten können.
Seit Lucas sich hier niedergelassen hatte, war Slade Holt mehrfach in die Stadt gekommen. Er kam nicht oft, aber wenn er kam, dann gab er den Leuten Gesprächsstoff. Wenn er die Bar betrat, verstummten alle.
Niemand wagte es, auch nur ein Wort über das Halbblut zu sagen, das für Lucas arbeitete, denn alle hatten Billy Wolf gemeinsam mit Slade gesehen, und es war nicht schwer zu erkennen, daß sie Freunde waren. Die Apachen, die aus den Reservaten kamen, machten so viel Ärger, daß man das Halbblut aus der Stadt gejagt hätte, wenn nicht die Brüder Holt gewesen wären. Ihretwegen wagte es niemand, Billy Wolf auch nur krumm anzusehen.
Als Lucas das nächste Mal zur Tür ging und wieder zurückkam, konnte Bill es nicht mehr lassen, ihn zu fragen: »Sie warten auf jemanden, Mr. Holt? Man bemerkt unwillkürlich, daß Sie immer wieder draußen nachschauen.«
Lucas grinste. »Heute kommt meine Braut.«
»Ihre … Braut? Das schlägt ja wohl alles!« Ben war viel zu aufgeregt, um sich in acht zu nehmen. »Sicher ist Sam Newcomb froh, wenn er das hört.«
»Ach?«
»Verstehen Sie mich nicht falsch, aber Sam ist schließlich noch nicht lange verheiratet, und es ist Ihnen wohl kaum entgangen, daß seine Frau nur Augen für Sie hat. Sam ist zwar bei weitem kein eifersüchtiger Mann, aber ich schätze, er weiß gern, was ihm gehört, und deshalb wird er froh sein, wenn Sie selbst eine Frau haben.«
Lucas sagte kein Wort, doch innerlich kochte er. Ben hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Fiona Newcomb war der Grund, aus dem Lucas jetzt hier stand und wartete. Wenn sie nicht gewesen wäre, wäre er nicht in dieser Klemme. Als er nach Newcomb gekommen war und sie noch Fiona Taylor war, hatten sie es sich gutgehen lassen. Er hatte sie nie glauben gemacht, daß er mehr als nur sein Vergnügen suchte. Sie dagegen hatte heiraten wollen. Als er nicht bereit
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