Zärtlichkeit des Lebens
Glasflächen hinter ihrem Schreibtisch zu schmücken, hatte sie Pflanzen in unterschiedlichen Höhen aufgehängt. Sonnenlicht strömte durch das klare Glas, durchflutete den Raum und drang selbst durch das Blätterdickicht.
Die Wände ihres Büros waren weiß tapeziert, der Teppich hellgrün. Beim Aufhängen der Pflanzen hatte sie die bodenlangen Vorhänge abgenommen; ohne sie fühlte sie sich weniger eingeengt. Mit hübschem Schnickschnack hier und da hatte sie dem sonst kühlen, zweckmäßigen Raum eine persönliche Note verliehen. Da gab es eine schwarze Vase mit tiefen Gravuren auf einem Glastisch, einen knallbunten Dali-Druck im Wechselrahmen und einen hohen, schmalen Spiegel.
Eine Schale mit bunten Murmeln stand auf einem Hocker, und eine anmutige Schäferin aus Meißner Porzellan posierte auf einem Regalbrett. Jetzt trug das Büro ihren Stempel ebenso unverwechselbar wie ihre Wohnung.
Cassidy ging von den Pflanzen zum Dali, von den Murmeln zur Porzellanfigur. Dabei hatte er die Hände auf dem Rücken verschränkt und hielt den Kopf geneigt, wobei ihm das Haar in die Stirn fiel. Bei jedem Schritt atmete er schnaubend ein und aus. Gelegentlich zappelte er mit den Fingern. Sarah saß an ihrem Schreibtisch und schaute ihm zu.
»Die Reichen sind mir ein Rätsel, das ist die Wahrheit.
Warum Harrison Reed ein Gästehaus braucht, wenn er eh, schon in einem Fünfzig-Zimmer-Mausoleum lebt, weiß ich nicht. Ganz zu schweigen von dem Badehaus, das wir ihm vor fünf Jahren hingestellt haben. Da könnte eine vierköpfige Familie samt Hund drin leben. Ach, diese Schauspieler!« Er schnalzte mehrmals hintereinander mit der Zunge. »Aber nun ja, schließlich ist es sein Geld! Es ist nur ein kleines Projekt, Sarah, aber es eignet sich gut für Sie. Fünf Schlafzimmer, drei Bäder, Wohnzimmer, Eßzimmer, Spielräume. Steht alles in den Unterlagen.« Er deutete auf den Hefter aus Manilapapier auf ihrem Schreibtisch. »Da sind auch Fotos vom Grundstück dabei, und ein paar von der Villa. Himmel, ist das ein Ding. Ich kriege das Zittern, wenn ich nur daran denke. Er sagt, daß er das Gästehaus ganz einfach haben will.« Cassidy schnaubte. »Unter einfach versteht dieser Kerl zehn griechische Säulen statt zwanzig.« Wieder schnaubte er laut.
Vergnügt schaute Sarah ihrem Chef beim Hin- und Herrennen zu. Sie hatte ihm zugehört und seine Theatralik genossen. Jetzt richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf den Hefter auf ihrem Schreibtisch, schlug ihn auf und schaute die Fotos durch.
»Machen Sie sich keine Sorgen, Cassidy. Wir geben Harrison Reed genau das, was er will.« Sie warf einen Blick auf die zwei Bilder von der Villa und blätterte dann zu den Bildern vom Grundstück um. »Ich mache ein paar vorläufige Skizzen, dann fliege ich nach Kalifornien und bespreche sie mit ihm.
Schließlich möchte ich mir erst einmal das Grundstück persönlich anschauen.«
»Bitten Sie Mugs, alles Nötige vorzubereiten«, sagte er mit einem energischen Nicken. Aber an der Tür blieb er stehen und blickte zurück auf den dunkelblonden, über die Fotos im Ordner gebeugten Kopf. Er legte die Stirn in tiefe Furchen. »Nehmen Sie sich vor Reed in acht, Sarah. So junge Mädchen wie Sie vernascht er zum Frühstück.«
Sarah schaute auf. Auf Cassidys Gesicht zeigte sich echte Sorge und ein Hauch von Verlegenheit. Sie lächelte. »Machen Sie sich meinetwegen keine Sorgen, Cassidy. Ich bin zäh. Über den ersten Happen kommt er nicht hinaus.«
Cassidy gab einen krächzenden Laut von sich, ehe er die Tür aufriß und schwerfällig hinausstapfte. Sarah vergaß die Warnung, sowie sich die Tür hinter ihm schloß. Sie stand auf und ging an ihr Reißbrett. Das war vielleicht nicht Cassidys Krankenhaus oder das Delacroix-Kulturzentrum, aber es war ein Anfang. Sie stellte die Fotos vom Bauplatz auf ein Bord in Augenhöhe und schaute sie mit zusammengekniffenen Augen lange an. Ein guter Anfang. Entschlossen nahm sie ihre Zeichengeräte zur Hand.
Die nächsten zwei Stunden machte Sarah freihändig Skizzen.
Dies war die Zeit, in der sie ihre Gedanken frei strömen lassen konnte, in der sie gestaltete, sich etwas vorstellte. Denken auf Papier… planlos auf Papier Geworfenes, Zeichnungen, Bruchstücke ihrer persönlichen Vorstellung von einem Gästehaus auf einem bewaldeten Grundstück in Südkalifornien.
Sie konnte den Platz, seine Aufteilung und seine Bebauung vor sich sehen. Es gab keine schwierigen technischen Probleme zu lösen. Eigentlich ein
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