Zahltag
Korassidis’ Steuererklärungen sind vermutlich seinem
Steuerberater, dem Finanzamt und dem Finanzministerium bekannt gewesen. Nun
müssen wir herausfinden, woher und wie der Mörder sie sich beschafft hat. Die
Sucherei wird uns Zeit kosten. Es könnte aber auch noch schlimmer kommen.«
»Und wie?«
»Wenn der Mörder kein weiteres Mal zuschlägt, können wir davon
ausgehen, dass es sich um eine persönliche Fehde mit Korassidis handelt. Wenn
er jedoch weitermacht, dann heißt das, er hat sämtliche Steuersünder im Visier.
Dann können wir einpacken!«
»Wäre es sinnvoll, den Minister zu informieren?«
»Wenn Sie mich fragen, ja. Schon morgen kommt vielleicht der nächste
Steuersünder dran, dann kann uns der Minister zumindest nicht vorhalten, wir
hätten ihn nicht rechtzeitig ins Bild gesetzt.«
»Bravo, Sie lernen ja dazu!«, ruft er begeistert. »Wie wollen Sie
weitermachen?«
»Ich denke, wir sollten uns mit Dolianitis vom Dezernat [87] für
Wirtschaftskriminalität und Lambropoulos von der Abteilung für Computerkriminalität
zusammensetzen. Unsere Kapazitäten allein reichen nicht aus, um den Fall zu
lösen. Dazu ist ein koordiniertes Vorgehen erforderlich.«
Während er zum Telefon greift, geht mir sein Ausruf »Bravo, Sie
lernen ja dazu!« nicht aus dem Kopf und verdirbt mir gehörig die Laune.
Das Gespräch dauert nicht lange. »Dolianitis meint, wir sollten
Spyridakis hinzuziehen.«
»Wer ist das?«
»Ein Experte vom Amt für Steuerfahndung im Finanzministerium.«
»Ja, das klingt gut.«
»Gut, dann benachrichtige ich Sie, sobald ich dem Minister Bericht
erstattet habe und ein Termin für die Sitzung feststeht.«
Eine nächste Frage schwirrt mir im Kopf herum, während ich in mein
Büro hinunterfahre. Was könnte es bei einem Mord an einem Steuersünder
bedeuten, dass der Täter auf Schierlingsgift zurückgreift und das Opfer auf dem
archäologischen Kerameikos-Gelände ablegt? In Ermangelung einer Antwort rufe
ich Dermitsakis zu mir. »Hast du die Lefkaditi erreicht?«
»Ja, sie kennt Korassidis’ Steuerberater persönlich.« Er zieht einen
Notizzettel aus der Hosentasche. »Minas Katsoumbelos heißt er. Ich habe auch
seine Telefonnummer.«
»Heb sie auf, wir werden sie noch brauchen.«
Somit hat sich die Frage erledigt, ob der falsche Vertreter und
Korassidis’ Steuerberater ein und dieselbe Person ist. Ehrlich gesagt war die
Idee auch ziemlich weit hergeholt. [88] Auf meinem Schreibtisch liegt Stavropoulos’
Autopsiebericht, doch ich schiebe ihn beiseite. Das, was ich weiß, reicht mir
vollkommen aus.
[89] 11
Gikas hat die Besprechung um drei Uhr nachmittags angesetzt.
Der Termin passt mir überhaupt nicht, da er sich länger hinziehen könnte und
ich Adriani abends in ihrem derzeitigen Zustand ungern allein lasse. Doch da er
sich nun mal nicht aufschieben lässt, füge ich mich ins Unvermeidliche.
Bevor ich zu Gikas hochfahre, rufe ich meine beiden Assistenten zu
mir. Ich weise sie an, sämtliche Pharmafirmen abzuklappern, um abzuklären, ob
sich einer ihrer Berater mit Korassidis am Vorabend seines Todes verabredet
hatte.
Alle Teilnehmer warten, um Gikas’ Konferenztisch verteilt, auf mein
Eintreffen. Lambropoulos von der Abteilung für Computerkriminalität und
Dolianitis vom Dezernat für Wirtschaftskriminalität sind mir persönlich
bekannt. Mit Letzterem verbindet mich sogar eine gegenseitige Sympathie.
Spyridakis, den Experten aus dem Amt für Steuerfahndung, sehe ich zum ersten
Mal. Er ist Mitte dreißig, hat krauses Haar, ist ziemlich kurz geraten und dünn
wie ein Hering.
»Wo bleiben Sie denn?«, hält mir Gikas tadelnd entgegen.
Ich erkläre den Grund für meine Verspätung und erstatte anschließend
Bericht. Die anderen hören mir zu, ohne mich zu unterbrechen.
[90] »Da haben Sie ja ganz schön was an der Backe«, lacht Dolianitis,
als ich geendet habe.
»Es gibt einige Fragen, die unverzüglich geklärt werden müssen«,
fahre ich fort. »Erstens, wie viel weiß Korassidis’ Steuerberater? Und stimmt
es tatsächlich, dass er ein zu versteuerndes Einkommen von 50000 Euro angegeben
hat? Zweitens, warum hat ihn das Finanzamt bislang nicht überprüft?«
»Vielleicht gab es ja eine Steuerprüfung«, wirft Spyridakis ein.
»Und dabei soll diese Summe nicht aufgefallen sein?«
»Doch, aber man hat beide Augen zugedrückt und die Angaben als
wahrheitsgemäß eingestuft. Korruption ist wie eine Pille, man braucht nur genug
Flüssiges, um sie
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