Zahltag
mit Spyridakis begebe ich mich in mein Büro hinunter, wo
mir Dermitsakis berichtet, alle von ihm befragten Pharmaunternehmen hätten
versichert, keiner ihrer Vertreter habe Korassidis am Tatabend besucht. Somit
können wir jetzt davon ausgehen, dass derjenige, der ihn aufgesucht hat, sein
als Arzneimittelvertreter getarnter Mörder war.
Vlassopoulos nennt mir Katsoumbelos’ Anschrift. Da mich die kleine
Besprechung aufgemuntert hat, beschließe ich, den Seat zu nehmen. Einziger
Wermutstropfen ist, dass ich vermutlich nicht vor zehn Uhr abends zu Hause sein
werde.
[94] 12
Minas Katsoumbelos’ Steuerberatungskanzlei liegt in der
Lelas-Karajanni-Straße, nicht weit vom Präsidium. Früher war in der
Patission-Straße kein Durchkommen, doch heute herrscht um sechs Uhr abends kaum
Verkehr, und die Wagen sind in lockeren Abständen unterwegs.
Jedes zweite Geschäft ist geschlossen. An der Haltestelle
Angelopoulou stoppt uns eine rote Ampel. Zu unserer Rechten liegt ein
Schaufenster, das mit Kleinanzeigen, Stellenausschreibungen und Werbung
zugekleistert ist, darunter die Plakate für Theaterstücke, Tanzveranstaltungen
und Konzerte griechischer oder albanischer Sänger. Es ist, als wollte man
sagen: »Wenn du schon nichts einkaufen kannst, dann genieß wenigstens dein
Leben.« Ganz am Rand klebt ein Schild mit der Aufschrift »Ladenlokal zu
vermieten«, direkt darunter ist es schon »zu verkaufen«. Dem Inhaber scheint es
egal zu sein, auf welche Weise das Geld reinkommt.
»Wo wohnen Sie, Herr Kommissar?«, fragt mich Spyridakis.
»Im neueren Teil von Pangrati, an der Grenze zu Vyronas.«
»Ich bin hier in der Gegend aufgewachsen, in der Karamanlaki-Straße.
Die Patission, die ich aus meiner Kindheit kenne, hat mit der heutigen Straße
nicht mehr viel gemeinsam. Früher haben hier die hellerleuchteten Schaufenster
die [95] Straßenbeleuchtung fast ersetzt. Heutzutage ist die Hälfte der Geschäfte
zu und die Patission liegt im Halbdunkel.«
»Wo wohnen Sie jetzt?«
»Immer noch bei meiner Familie in der Karamanlaki-Straße. Mit meinem
gekürzten Gehalt kann ich mir für mich alleine keine Mietwohnung leisten. Bei
meinen Eltern zahle ich einen Beitrag an die Miete und komme so finanziell
einigermaßen zurecht.« Plötzlich lacht er auf. »Aber das wissen Sie ja so gut
wie ich: Früher redete man vom Gehalt und den Zulagen, heute vom Gehalt und den
Kürzungen. Das ist die treffendste Zusammenfassung der Krise.«
Doch dann wird er mit einem Schlag ernst. »Ich will Ihnen etwas
gestehen: Wenn mir Steuererklärungen von Privatpersonen oder Unternehmen aus
der Patission-Straße unterkommen, gebe ich sie an Kollegen weiter. Ich will sie
einfach nicht überprüfen.«
»Und warum nicht?«
»Weil ich sehe, wie diese Gegend von Tag zu Tag mehr verfällt. Ich
habe Angst, sentimental zu werden und bei der Steuerprüfung nicht mehr objektiv
zu sein. Deshalb überlasse ich solche Fälle lieber meinen Kollegen.«
»Das kann ich nachvollziehen«, entgegne ich. Unverhofft wird mir der
Hering sympathisch.
Minas Katsoumbelos’ Steuerberatungsbüro liegt im dritten Stock eines
Wohnblocks. Eine gelangweilte Vierzigjährige öffnet uns die Tür. Als ich unter
Vorlage meines Dienstausweises nach Herrn Katsoumbelos frage, führt sie uns
direkt in sein Arbeitszimmer, wo wir von einem glatzköpfigen, bebrillten
Fünfzigjährigen mit einem herzlichen Händedruck empfangen werden. Als sich
Spyridakis vorstellt, huscht [96] ein Schatten über sein Gesicht, und er fragt
überflüssigerweise: »Gibt es irgendein Problem?«
Spyridakis lässt mir den Vortritt. »Herr Katsoumbelos, bestimmt
werden Sie vom gewaltsamen Tod Ihres Mandanten Athanassios Korassidis gehört haben.«
Katsoumbelos wiegt betrübt den Kopf. »Ja, ich bin zutiefst
erschüttert. Ein großer Verlust für die Ärzteschaft.«
Möglich, aber sonst werden ihn nicht viele vermissen, denke ich bei
mir. »Wir möchten Ihnen ein paar Fragen zu Ihrem Mandanten stellen.«
»Bitte sehr, jederzeit«, erwidert Katsoumbelos und strafft sich, was
ahnen lässt, dass er nur Gutes über den Verstorbenen zu sagen hat.
»Also, zunächst wollen wir seine letzte Steuererklärung sehen«,
erklärt Spyridakis.
Katsoumbelos reagiert überrascht auf das unerwartete Ansinnen. »Hat
das posthum noch eine Bedeutung?«, wundert er sich.
»Bestimmte Punkte aus seiner Steuererklärung könnten uns zu seinem
Mörder führen«, erläutere ich ihm.
»Wie Sie meinen. Koralia, holen Sie mir
Weitere Kostenlose Bücher