Zander, Judith
in nämlicher feiger Weise
zuredete, dies geschähe, sie nicht zu beschämen mit einer im Grunde wohl
entbehrlichen Erinnerung? Und hatte ich nicht obendrein am Anfang den Versuch
unternommen, mir vorzuführen, dass dies Weib womöglich gar nicht selbiges sei,
dass ich vor langen Jahren in den Gemächern meines Onkels selig einmal mit
erschreckten, wiewohl ungenierten Augen angetroffen?
Und schließlich, war es denn
gut, dass ich nach meinem Mittagsmahle am vergangenen Sonntage aus dem Fenster
sah und meinen alten Nachbarn Gniedeck gewahrte, wie er mit seinen schwachen
Händen die Axt schwang in seinem Garten mit großer Mühe und einen Haufen Holz
spaltete und ich nicht herauseilte, ihm zu helfen, und bei mir dachte, es wäre
der Tag des Herrn, an dem wir unsere Arbeit sollen ruhen lassen und stattdessen
nach Greifswald fahren zu Elena?
Und diese sonntäglichen
Ausflüge wären ein Quell gar vieler neuer Fragen, die meiner Tüchtigkeit und
dem Vorhaben, dem kommenden Sonntage eine erbaulich zu hörende Predigt zu
geben, nun sehr entgegenstünden. Was aber ist so Tüchtiges daran, der Gemeinde
mit wohlgesetzten Worten über erhabene Dinge in den Ohren zu liegen und nicht
allein die geistigen, auch die Kräfte des Körpers zu sammeln, wenn ich später
am Tage mich im Laufschritt werde ertüchtigen, solang dies alles nur zu meinem
eigenen Wohlbehagen geschieht?
Auch mir ist bekannt die junge
Legende von der Rechtschaffenheit und Tüchtigkeit eines Pastors im Dorfe
Bresekow, der sich nicht zu schade war, helfend mit kräftigen Armen und gewichtigen
Worten und starkem Glauben anzupacken, als der große Bullenstall lichterloh
brannte, und sich den Flammen entgegenwarf und Tier um Tier heraustrieb aus
dem Inferno. Und nachher gab man meinem Vorgänger Schnaps und viel Klopfen auf
die verräucherte Jacke über der Schulter, und nie, sooft ich seiner gedenke,
kann ich anders, als mir diese Jacke als einen im Feuerwinde wehenden Talar
vorzustellen, und man nahm ihn endgültig auf als einen Ebenbürtigen und
Vorbildlichen, einen Primus inter Pares, in die Gemeinde. Und später ist er
fortgegangen und seine Spuren verloren sich in Bresekow und in der Welt, und
wenn er nicht gestorben ist, so tut er Gutes noch heute.
Und darauf wurde für das Dorf
Bresekow in Ermangelung regelrechter Amtsträger ein Seelsorger mit Namen Arndt
angeschafft und samt den Seinen ins Pfarrhaus gesetzt, und siehe, er fand
Zulauf unter den verirrten Schäfchen mit nach ihrem Geschmacke gewürzten
saftigen Reden, und die Gemeinde blieb unbehelligt von der kirchlichen
Autorität, bis man diesem Zustande meinte abhelfen zu müssen, und dann kam
ich, ausgerechnet.
ROMY
Sogar das einzige Live-Album hatten
sie! Eigentlich bin ich ja froh, nicht zu der Zeit gelebt zu haben, auch wenn
ich mir das manchmal ausmale. Die Beatlemania. Ich wäre verrückt geworden. Ich
hätte mir einen karierten Minirock über meine zu schmalen Hüften gezogen und
mit der Meute gekreischt. Ich hätte mich haltlos in John verliebt, vielleicht
sogar in Paul. Ich wäre genauso gewesen wie alle anderen. Oder eben gerade
nicht, so wie jetzt, aber auch so wie jetzt nur heimlich. Was für eine Vorstellung:
Ich wäre aus Prinzip kein Beatles-Fan geworden! Das wäre sogar noch verrückter
gewesen. Manchmal habe ich Angst, für immer unansehnlich und siebzehn zu
bleiben.
Und dann das: Letztes Jahr, am
Ende der Zehnten, sollten wir in Musik ausnahmsweise mal nicht vorsingen, diese
ewige Blamage auf Zensur, bei der es den meisten ja nicht um die Zensur geht,
sondern darum, sich möglichst wenig zu blamieren; einige Jungs machten ja,
sobald sie irgendwie die Pubertät erreicht hatten, deshalb gleich auf ganz
cool, blieben stur auf ihrem Platz hocken und erklärten, lieber die Sechs in
Kauf zu nehmen als zu singen, was mich an Polizeiverhöre denken ließ. Nur dass
es hier eigentlich kein Geheimnis zu wahren gab, wir wussten ohnehin alle, von
früheren Versuchen, denn die meisten waren nicht gleich so konsequent gewesen,
was da verheimlicht werden sollte. Somit erntete diese Art von Renitenz auch
nicht den vielleicht erhofften Beifall, denn ausgerechnet die jeweils eigenen
Kumpels sahen sich um ihr Vergnügen gebracht und setzten dem Singeverweigerer
so lange zu - »eh, sing doch, nu sing doch, Ronny/ Martin/Christian« -, bis
Herr Stiehl sagte, »sing doch selber, Christian/Martin/Ronny«.
Herr Stiehl ist unleugbar
nicht gerade der Größte und nebenbei auch nicht der Hellste,
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