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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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ihrer
Mir-und-mich-Verwechselkrankheit. Die verwenden Dativ und Akkusativ im Prinzip
synonym, jedenfalls ist es mir noch nicht gelungen, da irgendeine Regel
abzuleiten, außer der, dass sie es regelmäßig falsch machen. Ich kann nicht
anders, als sie ständig zu verbessern. Sie lachen, rollen mit den Augen, winken
ab. »Ach, Romy, du schon wieder!« Die Nachsicht, die ich ihnen nicht gönne,
lassen sie mir angedeihen. Ich weiß, dass ich furchtbar bin. Aber es ist fast
schon ein Spiel. Wenn sie anrufen und ich ausnahmsweise doch mal ans Telefon
gehe, wenn Mama nicht da ist, sagen sie zum Schluss etwas, das ungefähr die
gleiche Funktion hat wie >Amen<: »Denn grüß ihr ma schön!« Das ist
zwischen uns zum Zitat geworden. Ich sage zu Mama: »>Grüß-ihr-ma-schön<
hat angerufen«, und sie fragt dann höchstens noch: »Welche?«
    Also, die Musikgeschichte,
damit wars nicht weit her, das Einzige, was ich zum Beispiel von einem wie
Beethoven wusste, war, dass er taub gewesen war, was mir zugleich auch als das
Interessanteste erschien. Das ist sowieso so ein Ding bei mir, dass ich mir
mit Vorliebe, geradezu automatisch, die nutzlosen Details merke, während das
große Ganze, die Sachen, die in Klausuren abgefragt werden, mich eher
langweilt. Wahrscheinlich hat mich das auch zu meinem Vortragsthema verleitet,
in Kombination mit meiner maßlosen Arroganz, denn das ist es doch, was sie von
mir denken, nicht zuletzt meine eigene Mutter: dass ich arrogant bin. Wie das
mit meiner ebenso allgemein bekannten Schüchternheit zusammenpassen soll, haben
sie sich dabei offenbar noch nicht überlegt.
    Aber ich. Ich glaube, dass
Ersteres eine natürliche Folge von Letzterem ist, eine Schutzmaßnahme. Man
nehme nur einmal John Lennon. Er galt Zeit seines Lebens als schrecklicher Arrogantling.
Von sich selbst sagte er, er sei lediglich schrecklich schüchtern. Natürlich
hat auch die Schüchternheit zu meiner Vortragswahl beigetragen. Für einen
kurzen Augenblick hatte ich an die Beatles gedacht, ungefähr im selben
Augenblick aber auch: Das geht nicht. Wieso, warum, keine Ahnung, nur dieses
Gefühl, das geht nicht, was mir heute zugegebenermaßen lächerlich vorkommt.
Manchmal frage ich mich, ob das das ganze Leben so gehen soll: dass alles, was
man macht, einem nach spätestens drei Monaten oder so lächerlich vorkommt. Ich
habe das jedenfalls ständig, meine Tagebücher - wie das allein schon klingt!, ä
la die Memoiren einer Siebzehnjährigen, völlig lächerlich - sind ein
lückenloser Beweis dafür. Trotzdem lese ich gerne darin, sie geben mir ein
Gefühl von, na ja, Überwindung. Oft muss ich lachen.
    Die Beatles gingen also nicht,
das stand fest, irgendetwas daran war mir wieder mal peinlich. Jedenfalls
konnte ich mir keinen denken, der diese gerade erst beginnende Leidenschaft,
deren Ursprung mir merkwürdig unklar ist, ich weiß nur, dass ich irgendwann
eine uralte Kassette mit Beatles-Hits aus der Stadtbibliothek ausgeliehen und
zu Hause sorgfältig vor meinen Eltern versteckt hatte, mit mir teilen oder
auch nur nachvollziehen könnte. Das war ungefähr so wie eine heimliche
Verliebtheit, und wenn ich auf irgendeinem Gebiet überhaupt Erfahrungen vorweisen
kann, dann auf diesem.
    Ich kenne alle Zustände
heimlicher, einseitiger und gemeinhin unglücklich genannter Verliebtheit, und
weiß daher auch, dass sie eben nicht unglücklich macht, jedenfalls nicht die
ganze Zeit. Sondern nur zu schätzungsweise fünfundzwanzig Prozent. Wenn man
bedenkt, wie viele Leute mit sogenannten glücklichen, gegenseitigen und
öffentlichen Verliebtheiten unglücklich werden, ist das eine vertretbare
Lebensform, denke ich. Zumindest vorübergehend. Und irgendwie geht es ja immer
vorüber. Zurzeit ist es Tobias Schneider, er ist ein Jahr älter als ich, und
ich glaube, es liegt in den letzten Zügen. Seit er im Sommer sein Abi gemacht
hat, sehe ich ihn kaum noch, und das ist ein Problem. Denn auf das Sehen kommt es an. Und auf das Grüßen, oh Gott, was für ein ewiges
kitzliges Martyrium! Wir kennen uns flüchtig, von irgendwelchen
Junge-Gemeinde-Nachmittagen und Projektwochen her, und haben insgesamt
vielleicht drei unvollständige Sätze miteinander gewechselt, und manchmal, wenn
wir uns mehr oder weniger zufällig trafen, eher weniger, denn im Laufe der Zeit
hatte ich, was Schulweg und Schulgebäude betrifft, einen raffinierten
Laufwegeplan entwickelt, der auf wochenlanger Beobachtung all seiner
beobachtbaren Bewegungen beruhte, grüßte er

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