Zander, Judith
früher noch kleiner,
oder? Auf einmal hab ich son Bild im Kopf, wie meine Oma mit meinem Opa auf
sonem Sofa sitzt, und ihre Beine sind nur so lang wie die Sitzfläche breit ist,
wie zwei Puppen. Und wie sie dann zusammen in ihr Puppenbett gegangen sind und
Vati gemacht haben, der gleich zwei Köpfe größer war, und dann hat er die
Flotte Britta, die ja größer ist als er, wenn sie Hackenschuhe anhat, also fast
die ganze Zeit, irgendwie dazu überredet, mit ihm ins Bett zu gehen und noch
größere Kinder zu machen, und so werden die Leute immer riesiger und klobiger,
und nix passt mehr.
Romy hat sich im Schneidersitz
neben mich gesetzt, sie wippt ein bisschen auf und ab.
»Ist ein Erbstück von meiner
Uroma. Das Ding hat wahnsinnige Sprungfedern, als Kind bin ich dadrauf immer
rumgehopst. Aber dann ist meine Oma in den Neubau gezogen, und da warn die
Decken zu niedrig. Oder ich auch irgendwann zu groß.«
Sie springt auf, und ich kipp
fast zur Seite.
»Die Milch!«
»Ich brauch doch keine Milch«,
sag ich. »Aber ich. Zucker?«
Ich schüttle den Kopf. Romy
hat mir pechschwarzen Kaffe eingegossen. Mal was andres als Muttis koffeinfreie
Plürre, die sie neuerdings schlürft. Und sogar da sagt sie zu mir: »Aber nur
eine Tasse!« Dass ich bloß nicht irgendwie abhängig werde. »Ist doch gar nix
drin«, sag ich, und sie: »Alkoholfreies Bier ist auch nicht ganz ohne Alkohol.«
Früher durfte ich nicht mal Cola. Ich hab ein Päckchen Kaffe in meiner
Schreibtischschublade versteckt. Mutti war natürlich sofort wieder
misstrauisch: »Sag mal, hast du irgendwas in deiner Schreibtischschublade,
wovon ich besser wissen sollte?« Wahrscheinlich hat sie gleich an Drogen oder
so gedacht.
»Nein«, hab ich gesagt.
»Warum schließt du sie denn
dann ab?«
»Weil n Schloss dran is.«
»Ella! Ich krieg das sowieso
raus! Du bist in letzter Zeit so - apathisch. Irgendwas stimmt doch mit dir
nicht!«
Ja, genau. Wenn hier was nicht
stimmt, dann natürlich mit Ella. »Wahrscheinlich brauch ich einfach mal
stärkeren Kaffe!«
»Das vergiss mal lieber! Du
rauchst doch nicht neuerdings, oder?«
»Nei-in!«
»Darf ich dann mal n Blick in
deine Schublade werfen?«
»Das vergiss mal lieber!«
Das gab zwei Wochen
Taschengeldentzug. Zum Glück hatte ich mir grade vorher neuen Kaffe gekauft.
Und mehr brauch ich eigentlich nicht. Bis auf ne Zigarette ab und zu.
»Was is das denn?«, frag ich
Romy, als sie sich aus der andern Kanne eingießt.
Sie sagt so was wie:
»Öll-gräi«, klingt englisch.
»Was?«, frage ich.
»Schwarzer Tee«, sagt sie,
»aromatisiert mit Bergamottöl.«
Mit was? »Mit Milch?«, frag
ich.
»Ja«, sagt sie und grinst,
»wie die Engländer.«
Wie Paul, denk ich. Aber der
ist ja aus Irland. Oder haben sie uns das mal in Englisch erzählt? Als ich
gehört hab, dass die Haferschleim zum Frühstück essen, hab ich nicht weiter
aufgepasst.
»Magst du Haferbrei?«, frag
ich.
Sie guckt mich angeekelt an.
»Alles hat seine Grenzen.«
Stimmt, denk ich.
»Willst du mal probiern?«,
fragt sie und hält mir ihre Tasse hin. Ich zögre. Sie lacht.
»Keine Angst, ich hab keine
Ratten verspeist. Aber ich kann dir auch ne andre Tasse holen.«
»Schon okay«, sag ich. Bloß
weil das bei uns son totales Unding ist: aus der Tasse von dem andern zu
trinken, die Gabel von dem andern zu nehmen. Als ob sich alle bei uns vornander
ekeln.
»Schmeckt gut«, sag ich. Und
das ist echt mal nicht gelogen.
»Find ich auch«, sagt Romy.
Ich geb ihr die Tasse zurück,
ich weiß nicht, was ich sonst noch sagen soll. Romy sagt auch nix. Wir
schlürfen nur so vor uns hin. Als war das so ein doofes Spiel, bei dems darum
geht, wer als Erster was sagt, und der hat dann verloren. Ich verlier.
»Weißt du schon, was du machen
willst, ich mein, nach dem Abi?«
Romy zuckt mit den Schultern.
»Keine Ahnung. Studiern. Und du?«
»Weiß nich. Jedenfalls nich
studiern. Zwölf Jahre reichen. Zwölf Jahre Schule, eh! Überleg dir das mal!«
Sie lacht. »Wieso machst du
dann Abitur?«
»Gute Frage«, sag ich. »Wegen
meinen Eltern wahrscheinlich.«
Romy sagt: »Ich könnt mir nie
vorstellen, was ich mal werden will, nich mal so wie andre, die schon mit
sieben Jahren wissen, dass sie Sängerin oder Tierärztin werden wollen. Ich
wollt nie irgendwas werden.«
»Ich auch nich!« Das hätt ich
nie gedacht. Dass ihr das genauso geht. Auf ihrem Schreibtisch liegt son grünes
Buch, ich hab sofort gewusst, dass das ihr Tagebuch ist. Ich hab
Weitere Kostenlose Bücher