Zarias Geheimnis
erinnerst. Dasselbe gilt für Jett. Hörst du mir zu?«
Ich hatte noch nie irgendjemandem so gut zugehört.
»Lass sie nie die Oberhand über dich gewinnen«, fuhr sie fort. »Lass dich nicht von ihr einlullen, ihr auch nur die kleinste Einzelheit über dich zu erzählen.« Sie umklammerte mein Handgelenk so fest, dass es wehtat.
»Warum? Wer ist sie?« Ich versuchte, die Hand wegzuziehen, und Beryl ließ mich schließlich los.
»Sie ist teuflisch.« Beryl hielt sich beide Hände vors Gesicht. Ich hatte sie noch nie so über jemanden reden hören.
Sie ließ die Hände in ihren Schoß fallen. »Lily Morganit ist umso gefährlicher«, fuhr sie fort, »weil sie alle anderen Ratsmitglieder hinters Licht geführt hat.«
»Hinters Licht geführt?«
»Sie glauben alle, sie hätte nur das Beste für Elfenland im Sinn. Ha! Dabei gibt sie nur vor, ihr wäre Elfenland wichtig.« Sie sah mir in die Augen. »Dass man sie dir als Mentorin zugewiesen hat, ist bestimmt ihr Werk, Zaria.«
»Aber warum will sie meine Mentorin sein?«, fragte ich nach einem Moment betretenen Schweigens.
Beryl schluckte schwer. »Du bist violett, und sie will dich unter ihre Kontrolle bringen.« Wie bemitleidenswert Beryl wirkte, ein kleines Häufchen Elend am Rande meines Nests, ihre orangefarbenen Flügel schlugen zitternd gegen die Kissen, ihr Gesicht war abgespannt und müde. »Versprich mir, dass du ihr kein Sterbenswort über dich, deine Eltern, deinen Bruder, deine Freunde, dein Leben erzählen wirst.«
Ich versprach es.
Beryl erklärte mir den Weg zu den Morganit-Türmen. »Und lass dich von ihrer Schönheit nicht dazu verleiten, unachtsam zu sein.«
»Ich bin kein Baby.«
Aber als ich zu den anmutigen Spitzen der Morganit-Türme aufblickte, musste ich zugeben, dass es mir schwer fiel zu glauben, eine teuflische Elfe könnte hier leben. Ich flog hinauf zur siebenunddreißigsten Etage und klopfte an die Tür. Als sie aufging, blieb mir die Luft weg.
Vor mir stand in einem schimmernden weißen Kleid die Elfe, die ich bei meinem Besuch zur Aussichtsstation gesehen hatte – die Elfe, die ihrem menschlichen Patenkind eine so nutzlose Gabe verliehen hatte.
Von Nahem betrachtet war ihre pinkfarbene Haut makellos, und jedes ihrer safrangelben Haare war seidenglatt. Ihre weißen Flügel hingen sanft und ruhig herab. »Zaria Turmalin?« Sie sprach meinen Namen laut und klar aus. Ihre Stimme war ungewöhnlich – süß und leicht –, und dennoch tat sie mir in den Ohren weh.
Der Lilienduft drohte mich zu überwältigen, als ich nickte. Mein Atem pfiff wie ein kochender Teekessel.
»Ich bin Lily Morganit.« Perlmutt-Augen musterten mich von Kopf bis Fuß. »Komm herein, mein Kind.« Sie streckte einen Arm aus, und ich sah den imposanten und mit Oberons Emblem geprägten Rubin an ihrem Handgelenk funkeln, als sie mir in ihre erhabene Behausung voranging.
Mit bestickten Kissen ausgestattete Hochsitze säumten die Wände. Bücher und Schmuckstücke ruhten aufRegalen hoch über exotischen Teppichen. Ich konnte mir gut vorstellen, auf den breiten Fenstersimsen zu sitzen und auf die Stadt hinauszublicken.
»Kann ich dir etwas Orchideensaft anbieten?«, fragte meine Mentorin.
»Nein, danke.«
»Wie du willst. Schön zu sehen, dass du begierig bist, anzufangen.« Sie flatterte auf einen Hochsitz und klopfte auf das Kissen neben sich. »Als Erstes werden wir deinen Magie-Nachweis in dein neues Zauberbuch legen.«
Ich setzte mich neben sie, aber hielt so viel Abstand wie möglich, ohne unhöflich zu erscheinen. Dabei stellte ich fest, dass ich den Lilienduft, der immer stärker zu werden schien, nicht mochte.
Meine Mentorin holte ein großes, gewichtig aussehendes Buch mit einem pinkfarbenen Buchdeckel hervor. Sie legte es sich in den Schoß. »Dein Zauberbuch.«
Ich konnte das Buch schon auf den ersten Blick nicht ausstehen. Mein Zauberbuch sollte federleicht und blau wie das meiner Mutter sein. Ich öffnete den Mund, um zu fragen, ob wir stattdessen Cinna Turmalins Buch studieren könnten, überlegte es mir jedoch anders. Beryl hatte mir ja eingeschärft, meine Familie nicht zu erwähnen.
Lily verlangte nach meinem Magie-Nachweis. Ich zog ihn ungeschickt aus meinem Kleid und reichte ihn ihr. Zaria Turmalin, Magie-Stufe 100, volles Violett.
Sie musterte ihn. »Du kannst dich äußerst glücklich schätzen, violett zu sein. Du wirst viele Zauber anwenden können.«
Ich betrachtete sie misstrauisch, als sie die Rückseite des Dokuments mit
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