Zarias Geheimnis
dich wäre ich jetzt vielleicht nur noch ein Häufchen Asche.« Sie wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. Ein Schauer durchfuhr ihren verbrannten Flügel. »An meinem Flügel bleibt bestimmt eine Narbe zurück.«
Ich berührte sie sanft an der Schulter. »Kannst du noch fliegen?«
»Ich kann abheben, aber mein Flügelschlag ist schwach. Und es tut höllisch weh, als würden mein Flügel und meine Hand in Flammen stehen.«
Ich wünschte mir so sehr, ich könnte ihr helfen.
»Ich will nie wieder zurück auf die Erde«, sagte sie niedergeschlagen. »Unsere Lehrer hatten recht. Es ist gefährlich. Und ich bin gefährlich, wenn ich dort bin.« Sie rückte ein Stückchen ab und starrte geradewegs auf das Zinnien-Portal. »Ich wünschte, meine Mutter hätte das Portal nie erschaffen.«
Während ich Leona zuhörte, fühlte ich mich auf einmal ganz schwach vor Hunger. Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal etwas gegessen hatte. »Ich pflücke uns Orchideen«, sagte ich.
Ein Büschel wuchs genau über unserer felsigen Zufluchtsstätte. Als ich eine Handvoll Blüten pflückte, streifte mich ein vereinzelter Windstoß. Für einen langen Augenblick sehnte ich mich danach, dem Wind zu folgen, ganz gleich, wohin er blies, aber stattdessen brachte ich Leona die Blüten. Wir stopften sie uns in den Mund.
»Zaria, wenn uns irgendjemand auf der Erde gesehen hat, wird uns der Hohe Rat befehlen, unsere Zauberstäbe zurückzugeben … und sie vermutlich die nächsten zehn Jahre behalten.« Sie holte ihren Zauberstab heraus und fuhr mit dem Finger über seinen Griff. »Aber ich kann ohne meinen Zauberstab nicht leben. Ich werde ihn nie zurückgeben, selbst wenn sie mir die Radia-Garde auf den Hals hetzen.«
Ich dachte an Lilys Versuche, mich dazu zu bringen, ihr meinen Zauberstab zu geben. Sie behauptete, sie wolle nur einen Enthüllungszauber ausführen, aber auf einmal wurde mir bewusst, dass ich ihn mir nicht wieder zurückholen würde können, sobald er in ihrer Gewalt war. Ich erschauderte bei dem Gedanken, wie kurz davor ich gewesen war, und erneuerte innerlich meinen Schwur, meinen Zauberstab niemals herauszugeben.
»Ich auch nicht«, sagte ich feierlich.
Leona blickte mich von der Seite an. Ihre Flügel zuckten. »Magistria Magnetit ist meine Mentorin«, verriet sie mir.
»Ich habe das Gerücht gehört.«
»Es stimmt. Sie ist blau, Magie-Stufe achtzig.« Leona zog eine Augenbraue hoch. »Und sie sagt, du und ich sollten nicht befreundet sein.«
»Meine Mentorin sagt dasselbe.«
In der darauffolgenden Stille lächelten wir uns grimmig an.
»Ich weiß, warum«, meinte sie. »Unsere Freundschaft ist gefährlich. Aber nicht für uns.« Sie betrachtete ihren prachtvollen Zauberstab. »Wir sind violett. Solange wir zusammenhalten, können sie uns nichts anhaben.«
»Ich werde dir immer beistehen, Leona.«
»Magistria Magnetit hat mir befohlen , dir die Freundschaft aufzukündigen.« Sie grinste. »Die ist so ein Trog.«
»Ein mieser Trog«, bekräftigte ich.
Sie kicherte, und dann brachen wir beide in schallendes Gelächter aus. Wenn uns irgendjemand gesehenhätte, hätten sie uns für ein Paar kreischender Gnome gehalten.
Als wir uns endlich wieder beruhigt hatten, blickte ich zur Sonne. Bald würde die Dämmerung anbrechen. »Leona, ich muss dir ein paar Dinge erzählen.«
Ich begann mit Lily Morganit: wie sie das Zauberbuch meiner Mutter gestohlen und ich es mir wieder zurückgeholt hatte. »Deshalb war mein Zauberstab auf der Erde vergraben.«
»Und du hast den Hohen Rat mit einem Stift von der Erde hereingelegt? Klasse!« Leona wirkte begeistert.
»Jetzt weißt du etwas über mich , das du niemandem verraten darfst.«
»Niemandem.«
Ich fuhr fort und berichtete ihr von den geschichteten Zaubern, mit denen man Beryl belegt hatte. Je länger ich redete, umso ernster blickte Leona. »Meteor hat vergessen, was passiert ist und wollte dann nicht mehr mit dir reden?«, rief sie aus. »Er muss unter einem schlimmen Zauber stehen! Er würde dir nie die Freundschaft kündigen.«
»Aber das hat er.«
»Morgen gehen wir in die Bibliothek und lesen alles über geschichtete Zauber«, beschloss sie. »Wir müssen lernen, wie wir uns und unsere Zauberstäbe beschützen können.«
Ich war so froh, mich Leona anzuvertrauen. Sie war immer noch meine Freundin, der ich vertrauen konnte.
Warum erzählte ich ihr dann nicht von meinen Ausflügen auf die Erde ohne sie, als ich Sam und
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