Zarias Sehnsucht
in Sams Zimmer und betrachtete den Menschenjungen. Eine Straßenlaterne draußen schien auf Sams rotgoldenes Haar, das so farbenfroh leuchtete, dass es der Schopf eines Elfs hätte sein können. Er schlief tief und fest, obwohl sein Fenster einen Fingerbreit offen stand. Der Wind blies hindurch und blätterte die Seiten eines Buchs auf, das auf dem Boden lag.
Wasser tropfte von meinem Haar, meinen Flügeln, meinem Kleid. Jedes Mal, wenn meine Flügel erzitterten, rann mehr herunter. Schnell saturierte ich meinen Zauberstab auf Stufe zehn. »Trockne mich«, flüsterte ich. Auch wenn ich so noch mehr Magie verbrauchte, war es die Sache wert.
Das Wasser verdunstete. Ich war trocken, aber mir war immer noch kalt. Ganz leise schob ich das Fenster zu und sah mich um. Regale bedeckten eine Wand des Zimmers, Regale voller Bücher, schmaler Schachteln und glänzender Statuen. Kleider lagen auf dem Boden verstreut; ein Hemd hing über einer Stuhllehne.
Ich glitt näher an die Regale heran und strich mit den Fingern über die irdischen Gegenstände. Eine kleine Flasche lag quer am Rand des Regals. Ich nahm sie und ging mit ihr ans Fenster, um sie in das Licht der Straßenlaterne zu halten. Sie war aus einfachem bernsteinfarbenem Glas und mit einer feinen Staubschicht überzogen. Neugierig schraubte ich den Verschluss ab. Da die Flasche leer war, stellte ich sie wieder zurück an ihren Platz.
Ich ging einen Schritt auf Sam zu. Wenn er aufwachte, würde dieser Menschenjunge nicht wissen, wer ich war. Nicht nur, weil ich meine Erscheinung verändert, sondern auch, weil ich seine Erinnerung an mich gelöscht hatte. Um nicht gegen die Gesetze Elfenlands zu verstoßen, hatte ich sichergestellt, dass er sich an nichts erinnern konnte, das mit mir zu tun hatte. Aber ich würde ihn nie vergessen und mich immer fragen, wie es sich anfühlte, als Mensch zu leben. Seit meiner ersten Reise zur Erde hatte ich davon geträumt, mich in ein Menschenmädchen zu verwandeln.
Dieser Traum würde nie in Erfüllung gehen. Ich war als Elfe geboren. Ich wusste nicht, wie ich ohne meine Flügel oder meinen Zauberstab überleben sollte.
Aber nur für eine Stunde? Eine einzige Stunde inmitten der Zeit, einer Zeit, in der nichts mehr sicher war?
Ja. Für eine Stunde könnte ich ein Mensch sein.
Ich atmete tief durch und saturierte noch einmal meinen Zauberstab. »Ich habe eine Stunde lang keine Flügel.«
Ohne meine Flügel fiel ich vornüber auf den Teppich, unfähig, mein Gleichgewicht zu halten. Ich krabbelte zum Fuß des Betts und zog mich am Bettpfosten hoch, verwundert, dass Sam einfach weiterschlief. Ich wagte es nicht, die indigoblaue Flasche abzusetzen, was es mir jedoch erschwerte, mein Gleichgewicht zu finden.
Als ich den Jungen vor mir betrachtete, wurde mir bewusst, wie müde ich war. Ich musste mich dringend ausruhen. Und das Bett war groß genug für zwei. Sam schlief ganz auf einer Seite, sodass auf der anderen noch viel Platz war. Ich bewegte mich ganz langsam entlang des Bettrahmens und stützte mich an der Matratze ab, um nicht wieder hinzufallen. Dann hob ich die Decke und schlüpfte neben ihn ins Bett.
Ich hatte mich noch nie flach auf den Rücken legen können, aber ohne die Flügel ging es jetzt. Von der schweren Flasche neben mir einmal abgesehen war es seltsam bequem. Ich versuchte, das aevum derk aus meinen Gedanken zu verbannen.
Sams Körper strahlte Wärme aus. Keine fiebrige Hitze, sondern gesunde Wärme. Ich lag still da und wartete darauf, dass mir die Kälte aus den Knochen kroch. Obwohl das Fenster geschlossen war, hörte ich den Regen wie einen steten Wasserfall gegen die Scheibe prasseln. Ich wollte schlafen. Vielleicht konnte ich dann in Sams menschlichen Träumen erscheinen. Vielleicht konnte er mich darin in meiner wahren Gestalt sehen, und ich könnte ihm alles erzählen, was passiert war.
Nein, ich durfte nicht schlafen. Ich würde nur mit schmerzenden, zerquetschten Flügeln aufwachen. Ich hatte nur diese eine Stunde: eine einzige Stunde zwischen einem Problem und dem nächsten. Eine Stunde Ruhe, wenn ich sie mir gönnte. Eine heimliche Stunde, um dem Menschen nahe zu sein, der mir lieb und teuer war. Ein Geheimnis, von dem niemand wissen durfte, nicht einmal er selbst.
Die weiche Decke hatte etwas Beruhigendes und linderte meine Angst und meinen Kummer. Ich lag im Warmen und Trockenen, lauschte den Geräuschen des Sturms draußen und fragte mich, wie das Leben in einer Welt wäre, in der Technologie
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