Zauber der Begierde
Schritten
vehement auf sie zu und zog sie in seine Arme.
»Was
fehlt dir, geliebtes Weib? « fragte er und sah auf sie hinunter. Aber er hatte
sie nicht weit genug nach vorn gezogen. Der verhaßte Schatten beanspruchte noch
immer ein ganzes Drittel ihres Gesichtes und verbarg ihre Augen vor ihm. Mit
einem groben Fluch trat er zurück, bis sie frei war von Dunkelheit. Jener
Schatten, jener verfluchte Schatten vom Turm hatte ihm das Gefühl gegeben, daß
sie zur Hälfte substanzlos wurde und womöglich direkt in seinen Armen
zerschmelzen könnte, und er wäre hilflos, es zu verhindern. »Adrienne!«
»Es
geht mir gut, Hawk«, sagte sie leise und schlang ihre Arme um seine Taille.
Als
das schwächer werdende Licht ihr Gesicht badete, kam er sich plötzlich töricht
vor und wunderte sich, wie er auch nur für einen Moment gedacht haben konnte,
daß da ein Schatten ihr liebliches Gesicht verfinsterte. Da war kein Schatten.
Nichts als ihre weiten Silberaugen, die bis zum Rand gefüllt waren mit Liebe,
als sie ihn anblickte.
Ein
bebender Augenblick verstrich, dann trat ein süßes Lächeln auf ihre Lippen. Sie
kämmte ihm eine Strähne schwarzen Haares aus dem Gesicht und küßte zärtlich
sein Kinn. »Mein wunder, wunderschöner Hawk«, murmelte sie.
»Rede
mit mir, Mädchen. Sag mir, was dich so quält«, sagte er barsch.
Sie
schenkte ihm ein Lächeln, das so blendend war, daß es seine Gedanken
durcheinanderwirbelte. Er fühlte, wie seine Sorgen wie Blütenblätter im Wind
davongetragen wurden von den leisen Versprechungen, die unausgesprochen in diesem
Lächeln lagen.
Er
strich mit seinen Lippen leicht über ihre und spürte diesen Ruck unmittelbarer
Reaktion, der vom Kopf bis in die Zehen durch seinen Körper kribbelte. Was für Schatten? Törichte Ängste, törichte Vorstellungen,
erkannte er mißmutig. Ein läppischer Schatten fiel über ihr Gesicht, und der
große Hawk durchlitt Visionen von Verdammnis und Trostlosigkeit. Bah! Keine
Frau konnte so lächeln, wenn irgendwelche Sorgen sie plagten.
Er
nahm ihre Lippen in einem brutalen, strafenden Kuß. Strafend für die Angst, die
er verspürt hatte. Strafend, weil er sie brauchte.
Und sie schmolz dahin wie
flüssige Flammen und preßte sich mit feuriger Dringlichkeit an seinen Körper.
»Hawk...«, • flüsterte sie an seinen Lippen. »Mein Gatte, meine Liebe, nimm
mich... noch einmal, bitte.«
Verlangen
schoß ihm durch die Adern und wischte alle Spuren seiner Panik fort. Er
brauchte keine weitere Ermutigung. Sie hatten noch ein paar Stunden übrig, bis
der Mann Gottes sie unter dem Mantel des Samhain miteinander verbinden würde.
Er zog sie zum Turm.
Adrienne
verkrampfte sich unwillkürlich. »Nein, nicht im Turm.«
Also
ging er mit ihr zu den Stallungen. Zu einem großen Berg süßen, purpurfarbenen
Klees, wo sie die letzten Stunden des Nachmittags, ihres Hochzeitstages,
verlebten. Wie ein Bettler, der seine letzten kostbaren Münzen für ein
opulentes Mahl hergibt.
Kapitel 29
Adriennes Hochzeitskleid
übertraf all ihre Kindheitsträume. Es war aus saphirblauer Seide und eleganter
Spitze gefertigt, an Hals, Ärmeln und Saum mit flimmernden Silberfäden
bestickt, die in sich verschlungene Rosen darstellten. Lydia hatte es stolz aus
einer versiegelten, mit Zedernholz durchwirkten Eichentruhe hervorgeholt; nur
einer weiteren von Hawks schlauen Erfindungen. Sie hatte es ausgelüftet, in der
verschlossenen Küche über Kübeln mit kochendem Wasser bedampft, und es dann
leicht mit Lavendel parfümiert. Das Kleid lag an Busen und Hüften eng an und
fiel in Strudeln kostbaren Stoffes zu Boden.
Es
war von den Zigeunern bestickt worden, erzählte ihr Lydia, als sie und ein
Dutzend Dienstmägde an Adrienne herumfummelten. Für Lydias Hochzeit mit Hawks
Vater. Lydias Hochzeit war auch auf Dalkeith-Upon-the-Sea gefeiert worden, am
Beltanefest, vor den gleichen Doppelfeuern, die an Samhain entfacht werden.
Aber
nun war Lydia vorausgegangen, den Hügelkamm hinauf. Die Dienstmädchen waren
ebenfalls fort, nachdem Adrienne sie vor einer Viertelstunde weggescheucht
hatte. Es hatte Adrienne all ihre Courage abgefordert, die letzten paar Stunden
zu überstehen.
Lydia
war so ausgelassener Stimmung gewesen, sie war praktisch durch den Raum
getanzt, und Adrienne hatte sich innerlich so hölzern gefühlt - sich zwingend,
so zu tun, als ob. Sie war dabei, etwas zu tun, was Lydia und Hawk unweigerlich
dazu bringen würde, sie zu verachten, doch sie hatte keine
Weitere Kostenlose Bücher