Zauber der Schlange
gesprochen hatte – Beweis für den Schmerz, den er ihr zugefügt hatte –, gingen ihm durch den Kopf. Er schämte sich, schämte sich so, daß er es nicht ertragen konnte, seinen Freunden ins Gesicht zu sehen. Er saß allein mit leerem Blick da, und Tante Pols Worte dröhnten durch seinen Kopf.
Der Regen ließ nach, als das Unwetter weiterzog. Kleine Strudel aus Regentropfen tanzten auf dem schlammigen Wasser des Flusses in dem stetig wechselnden Wind. Der Himmel begann aufzuklaren, die Sonne erschien hinter den schweren Wolken und tauchte sie in ein zorniges Rot. Garion ging an Deck, um allein mit seinem verwirrten Gewissen zu ringen.
Nach einer Weile hörte er hinter sich leichte Schritte. »Du bist wohl auch noch stolz auf dich?« fragte Ce’Nedra bissig.
»Laß mich in Ruhe.«
»Das werde ich nicht. Ich will dir genau sagen, was wir alle an dem Morgen bei deiner kleinen Ansprache empfunden haben.«
»Ich will es nicht hören.«
»Wie schade. Ich werde es dir trotzdem sagen.«
»Ich werde nicht zuhören.«
»O doch, du wirst.« Sie nahm ihn am Arm und drehte ihn zu sich herum. Ihre Augen funkelten und auf ihrem kleinen Gesicht malte sich schrecklicher Zorn ab. »Was du getan hast, ist absolut unentschuldbar«, sagte sie. »Deine Tante hat dich aufgezogen, seit du ein Säugling warst. Sie ist für dich eine Mutter gewesen.«
»Meine Mutter ist tot.«
»Die Dame Polgara ist die einzige Mutter, die du je gekannt hast, und wie hast du es ihr gedankt? Du hast sie ein Ungeheuer genannt. Du hast sie beschuldigt, dich nicht zu lieben.«
»Ich höre dir nicht zu«, schrie Garion. Obwohl er wußte, daß es kindisch, geradezu infantil war, legte er die Hände über die Ohren. Prinzessin Ce’Nedra schien immer seine schlimmsten Seiten ans Licht zu bringen.
»Nimm deine Hände runter!« befahl sie mit klingender Stimme. »Du wirst mich hören, und wenn ich schreien muß.«
Garion, der fürchtete, daß sie das tatsächlich auch so meinte, nahm die Hände herunter.
»Sie hat dich getragen, als du ein Säugling warst«, fuhr Ce’Nedra fort, als wüßte sie genau, wo der wundeste Punkt in Garions Gewissen lag. »Sie hat über deine ersten Schritte gewacht; sie hat dich gefüttert, auf dich aufgepaßt; sie hat dich in den Arm genommen, wenn du Angst oder dir weh getan hattest. Klingt das nach einem Ungeheuer? Sie wacht immer über dich, wußtest du das? Selbst wenn du nur stolperst, streckt sie die Hand aus, um dich aufzufangen. Ich habe gesehen, wie sie dich zudeckte, als du schliefst. Klingt das nach jemandem, der nicht liebt?«
»Du redest von etwas, das du nicht verstehst«, sagte Garion. »Bitte, laß mich in Ruhe.«
»Bitte?« wiederholte sie spöttisch. »Welch seltsamer Zeitpunkt, dich wieder an deine Manieren zu erinnern. An jenem Morgen habe ich dich nicht bitte sagen hören. Ich habe kein einziges Bitte gehört. Auch kein Danke. Weißt du, was du bist, Garion? Du bist ein verwöhntes Kind, das ist es.«
Das saß! Diese verhätschelte, launische kleine Prinzessin sagen zu hören, er wäre ein verwöhntes Kind, war mehr, als Garion ertragen konnte. Wütend begann er, sie anzuschreien. Das meiste, was er sagte, war völlig unzusammenhängend, aber durch die Schreierei war ihm wohler.
Sie fingen mit Beschuldigungen an, aber ihr Streit sank schon bald zu bloßen Beschimpfungen herab. Ce’Nedra keifte wie ein Fischweib aus Camaar, und Garions Stimme krächzte und sprang zwischen einem männlichen Bariton und einem knabenhaften Tenor hin und her. Sie fuchtelten mit den Händen herum und brüllten sich an. Ce’Nedra stampfte mit dem Fuß auf, und Garion fuchtelte mit den Armen. Alles in allem war es ein prächtiger kleiner Kampf. Ce’Nedra Beleidigungen an den Kopf zu werfen war ein unschuldiger Zeitvertreib nach den tödlichen Dingen, die er an jenem Morgen zu Tante Pol gesagt hatte. Es erlaubte ihm, seine Verwirrung und seinen Zorn harmlos auszuleben.
Schließlich nahm Ce’Nedra aber Zuflucht zu Tränen und lief davon. Sich mehr töricht als beschämt fühlend, ließ sie ihn zurück. Er schimpfte noch etwas vor sich hin, brummte ein paar auserlesene Beleidigungen, die er nicht mehr hatte anbringen können, dann seufzte er und lehnte sich nachdenklich an die Reling und sah zu, wie die Nacht über die dunkle Stadt hereinbrach.
Obwohl er es keinesfalls zugegeben hätte, nicht einmal vor sich selbst, war er der Prinzessin dankbar. Ihr Abgleiten ins Lächerliche hatte seinen Kopf befreit. Er sah jetzt
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